Hunderttausende Firmen in Deutschland stehen bis 2025 vor der Frage der Nachfolge – und riskieren im schlimmsten Fall die Stilllegung. Doch statt Krise kann die Übergabe auch Neuanfang bedeuten: für Regionen, Belegschaften und junge Führungskräfte, meint Jan-Niklas Hustedt, Geschäftsführer der Sparkassen-Personalberatung GmbH und Recruiting-Experte, im Gastbeitrag.
Hunderttausende mittelständische Unternehmen in Deutschland stehen in den kommenden Jahren vor einer entscheidenden Zäsur. Laut KfW-Nachfolgestudie 2024 droht bis Ende 2025 fast eine halbe Millionen Betriebe, über eine Übergabe oder gar eine Stilllegung nachzudenken. Hinter diesen nüchternen Zahlen steckt weit mehr als ein rein statistisches Problem: Ganze Regionen riskieren den Verlust von Arbeitsplätzen, Innovationskraft und Wertschöpfung. Noch schwerer wiegt der Umstand, dass mit jeder Unternehmensschließung auch jahrzehntelanges Know-how, gewachsene Kundenbeziehungen und regionale Netzwerke verschwinden. Demografie fungiert dabei als zentraler Treiber. Die Babyboomer- Generation zieht sich zurück, das Durchschnittsalter nachfolgeinteressanter Unternehmer liegt bereits bei 65,4 Jahren. Parallel verdichtet sich der Druck durch Fachkräftemangel, steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie die digitale Transformation. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die häufig familiengeführt arbeiten, spüren diesen Druck am stärksten. Sie verfügen seltener über professionelle Strukturen im Personal- oder Innovationsmanagement und geraten dadurch doppelt in die Zange.
Nachfolge als Form der Gründung?
In Ostdeutschland verschärft sich die Lage zusätzlich: Viele Gründerinnen und Gründer der Nachwendejahre rücken ebenfalls ins Rentenalter, während junge Menschen die Regionen verlassen. Eine Welle von Stilllegungen könnte dort ganze Branchenstandorte gefährden. Das Risiko reicht dabei weit über die einzelne Firma hinaus. Wenn Betriebe schließen, verlieren auch Zulieferer ihre Aufträge, Kommunen ihre Steuerzahler und junge Talente die Aussicht auf berufliche Entwicklung vor Ort. Statt Resignation braucht es mutige Konzepte. Nachfolge bedeutet nicht zwangsläufig den Blick in die Vergangenheit. Im Gegenteil: Eine Übernahme kann genauso viel Gründergeist freisetzen wie eine Neugründung. Wer Verantwortung für ein bestehendes Unternehmen übernimmt, tritt in ein funktionierendes Umfeld mit Kunden, Mitarbeitenden und Umsatz ein – und erhält gleichzeitig die Chance, frische Ideen einzubringen. Genau hier liegt der Schlüssel. Nachfolger sichern nicht nur Kontinuität, sondern eröffnen neue Zukunftspfade: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und innovative Geschäftsmodelle gewinnen durch externe Impulse an Kraft.
Von der Lücke zur Chance
Noch zu selten wird Nachfolge als attraktive Karriereoption wahrgenommen. Viele junge Menschen fürchten finanzielle Lasten oder zu große Verantwortung. Doch wer den Schritt wagt, betritt kein leeres Feld, sondern eine bewährte Struktur, die Weiterentwicklung ermöglicht. Nachfolge kann damit ein Sprungbrett in die Selbstständigkeit darstellen – weniger riskant als eine Gründung von null, aber ebenso chancenreich. Entscheidend bleibt dabei, die Perspektive auf Bewerbungsprozesse zu verändern. Statt klassischer Anschreiben überzeugt heute ein ‚Businessplan in eigener Sache‘, ein Dokument, das nicht nur Qualifikationen aufführt, sondern konkret beschreibt, welche Ideen und Impulse in das Unternehmen einfließen könnten. So entwickelt sich die Bewerbung vom reinen Pflichttext hin zu einem fachlichen Dialog auf Augenhöhe. Dieser Perspektivwechsel öffnet Unternehmen gleichzeitig neue Wege im Recruiting: Nachwuchsführungskräfte bewerben sich nicht bloß auf Stellen, sondern auf die Zukunft eines ganzen Betriebes.
Zukunft gestalten statt abwarten
Finanzielle Hürden schrecken zwar viele potenzielle Nachfolger ab, doch zahlreiche Förderprogramme, Beteiligungsgesellschaften und Banken unterstützen Übernahmeprozesse. Der Unterschied zur Neugründung liegt auf der Hand: Statt bei null zu starten, übernehmen Nachfolger ein tragfähiges Geschäftsmodell. Auch Sparkassen und regionale Förderbanken stellen zunehmend Instrumente bereit, die speziell auf Nachfolgesituationen zugeschnitten sind – von Bürgschaften bis hin zu Beteiligungskapital. So lassen sich Risiken besser kalkulieren und der Einstieg in die Selbstständigkeit gelingt leichter. Damit diese Chance gelingt, müssen drei Dinge ineinandergreifen: Bewusstsein für die Dringlichkeit, eine neue Kultur des Gründergeistes sowie innovative Wege bei der Ansprache von Nachfolgern. Nachfolge erhält so eine völlig neue Bedeutung: Sie steht nicht für das bloße Fortführen, sondern für den Aufbruch in eine nächste Entwicklungsstufe. Wer Verantwortung übernimmt, gestaltet Zukunft – für die eigene Karriere ebenso wie für ganze Regionen. Aus der Herausforderung Unternehmensnachfolge wächst damit die Möglichkeit, den deutschen Mittelstand neu zu erfinden.
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