Giorgio Caputo, Senior Fund Manager and Team Head von J O Hambro (JOHCM), ist vorsichtig optimistisch, wenn er auf die Inflations- und Zinsentwicklung in den USA blickt. Aus seiner Sicht macht vor allem die Inflation der Güterpreise und die Erholung des Halbleitermarkts Hoffnung. Ein Gespräch über die wichtige Rolle Chinas für die weitere Entwicklung und über Titel, die die Probleme in Bezug auf Energie-, Material- und Arbeitskräftemangel lösen können.
Herr Caputo, die jüngsten Daten zur Inflation in den USA nähren die Hoffnung, dass die Inflation in der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt endlich ihren Höhepunkt erreicht hat. Welche Erwartungen haben Sie für nächsten Monaten?
Giorgio Caputo: Die jüngsten Inflationsdaten haben sich tatsächlich abgeschwächt. Bestimmte Aspekte dieser Entwicklung waren zu erwarten. Es hat zwar länger gedauert als von vielen erwartet, aber eine Reihe wichtiger globaler Lieferketten hat begonnen, sich zu erholen.
Dazu gehört vor allem die Lieferkette für Halbleiter, die für so viele Endprodukte entscheidend sind. Die extremen Engpässe bei vielen verschiedenen Chips haben sich abgeschwächt. Weitgehend verschwunden sind auch die manchmal 10-fachen Aufschläge, die Händler und Chip-Broker während des Höhepunkts der Knappheit verlangen konnten. Dies wiederum ermöglicht eine höhere Produktion von Automobilen, schweren Maschinen und einer Vielzahl anderer Konsumgüter. Die Inflation der Güterpreise geht zurück.
Auch die Rohstoffpreise sind deutlich gesunken. Am bemerkenswertesten ist der starke Rückgang des europäischen Erdgaspreises, der auf eine Kombination aus günstigem Wetter, erhöhten Importkapazitäten und – wie wir vermuten – auch auf die Summe einer Vielzahl von Energiesubstitutionsprojekten weltweit zurückzuführen ist, bei denen Erdgas durch andere Energieformen (einschließlich Kohle, Diesel und Solar) ersetzt wurde.
Besonders erfreulich sind die ersten Anzeichen dafür, dass sich die Inflation der Arbeitskosten von ihren stärksten Anstiegen zurückgezogen hat. Die jüngsten Daten zu den durchschnittlichen Stundenlöhnen in den USA haben sich angesichts der ständigen Ankündigungen von Kostensenkungen abgeschwächt. Die Beschäftigung ist nach wie vor hoch, aber am Rande scheint sich auch die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt zu verschieben.
Dies könnte der Fed Spielraum für eine etwas lockerere Zinspolitik geben. Wie wird sich das aus Ihrer Sicht auf die Entscheidungen der Fed auswirken?
In dem Maße, in dem sich die Preise von ihrem Höchststand entfernt haben, haben auch einige Zentralbanken begonnen, ihre aggressive Haltung aufzugeben. Am bemerkenswertesten ist vielleicht der Offenmarktausschuss der US-Notenbank Federal Reserve (US-FOMC). Er hat bereits begonnen, die Zinserhöhungen zu drosseln und die Möglichkeit erörtert, die Zinsen auf einem hohen Niveau zu halten – was bedeutet, dass die Erhöhungen tatsächlich enden könnten.
Die entscheidende Frage ist nun, ob die US-Notenbank ihren Kurs ändern und die Zinsen senken muss, wenn die Wirtschaft zu schwächeln beginnt. Es ist noch zu früh, um das zu sagen, obwohl es eine gewisse Grundlage zum Optimismus gibt, da Chinas Wiedereintritt in die Weltwirtschaft nach dem Ende der Nullzins-Politik das Potenzial für einen deflationären Wachstumsimpuls birgt. Und zwar in ähnlicher, wenn auch geringerer Weise, wie Chinas erster Eintritt in die Weltwirtschaft vor zwei Jahrzehnten ebenfalls ein starkes globales Wachstum mit moderater Inflation ermöglichte.
Trotz der positiven Signale warnt die Weltbank in Washington vor zu viel Optimismus. In ihrem jüngsten Bericht "Global Economic Prospects" weist das Institut auf Spätfolgen der Inflation hin. Teilen Sie die Befürchtungen oder steht Joe Bidens Optimismus auf einer soliden Grundlage?
Die Antwort auf diese Frage müssen wir vielleicht auch in China suchen, denn die Rohstoffpreisinflation hat von der erheblichen Abriegelung der chinesischen Wirtschaftstätigkeit profitiert. Wie hoch wären die europäischen Erdgaspreise im letzten Sommer gewesen, wenn China ein aktiver Konkurrent Europas um die Ressourcen gewesen wäre?
In dem Maße, in dem die chinesische Bevölkerung mehr Straßen- und Flugreisen unternimmt und die chinesische Industrie ihre Produktion steigert, könnte auch die steigende Nachfrage nach Diesel und Erdgas erneut zu einem Anstieg der Rohstoffpreise führen. Wenn genügend Fortschritte bei der Aufweichung der Arbeitsmärkte erzielt wurden, muss sich dies nicht auf die Kerninflation auswirken, aber hier liegt eines der Hauptrisiken für ein günstigeres Ergebnis.
Blick auf die US-Aktienmärkte: Was können wir hier erwarten und wo sehen Sie die größten Chancen?
Aufgrund der jüngsten Aufwertung der Aktienmärkte hat deren Attraktivität etwas abgenommen. Dadurch wurde ein Teil der potenziellen Renditen vorverlegt, sollte es zu einer weicheren Landung kommen. Die kommenden Monate könnten kontrastreiche Daten liefern, so dass die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Volatilität erhöht erscheint. Die Zentralbanken sind offenbar fest entschlossen, die derzeitige Inflation einzudämmen, und sollten sie an diesem Ziel festhalten, dürfte es zu einer Phase niedrigerer Inflation kommen.
Längerfristig sehen wir jedoch weiterhin die Folgen einer fast ein Jahrzehnt andauernden Periode der Unterinvestition in Sachkapital. Es ist möglich, dass Energie-, Material- und Arbeitskräftemangel aufgrund einer alternden Bevölkerung in den kommenden Jahren zu weiteren Knappheits- und Inflationsschüben führen werden.
Daher konzentrieren wir uns auf problemlösende Unternehmen, die der Welt bei der Bewältigung dieser Engpässe helfen können. Solche Unternehmen sind in einer Vielzahl von Branchen zu finden, von traditionellen Energieerzeugern bis hin zu Anbietern erneuerbarer Energien und von Software-Automatisierung und KI bis hin zu traditioneller Fabrikautomation und Robotik.
Angesichts der Tatsache, dass die Gesamtwirtschaft aufgrund von Versorgungsengpässen möglicherweise mit einem langsameren Wachstum konfrontiert ist, ist es an der Zeit, sich auf die Schlüsselbereiche zu konzentrieren, die davon profitieren können.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Weitere Schocks im Anmarsch?
Die Aktienmärkte liegen am 14. Dezember wieder im Minus, da die Anleger den Schock der jüngsten US-Leitzinserhöhung um weitere 0,5 Prozentpunkte verkraften müssen und zahlreiche Zinsentscheidungen der Zentralbanken noch ausstehen.
Aussicht auf moderates Wachstum bei moderater Inflation
Die Anzeichen für einen nachlassenden Inflationsdruck sind inzwischen an vielen Stellen erkennbar: Sowohl Lieferketten als auch Rohstoff- und US-Immobilienpreise stabilisieren sich. Und für 2024 wird ein positives Wirtschaftswachstum erwartet.
Erdgas und Erdöl: Preisschock könnte schneller zu strafferer Geldpolitik führen
Die Märkte unterschätzen die Auswirkungen der Inflation
Immer mehr Marktteilnehmer erwarten für 2023 eine deutlich sinkende US-Inflation, die sich im Laufe des Jahres wieder an das zwei Prozent-Ziel der Fed annähert. Doch sollte das Gewicht der Energiekrise bei den Inflationsprognosen nicht unterschätzt werden.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Bafin warnt vor Rückschlägen an den Märkten – Aufsicht mahnt zu vorsichtigem Optimismus
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sieht angesichts hoher Bewertungen und zunehmender geopolitischer Unsicherheiten wachsende Risiken für die Finanzmarktstabilität. Im Gespräch mit dem Handelsblatt verwies Bafin-Präsident Mark Branson auf die Anfälligkeit der Märkte für politische Schocks.
Deutsche Wirtschaft: Leichtes Auf und Ab beim BIP – keine klare Trendwende erkennbar
Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft erneut – trotz kurzer Hoffnung im ersten Quartal 2025. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeichnen ein ernüchterndes Bild: sinkende Produktivität, schwache Pro-Kopf-Werte und fehlende Dynamik. Was das für die wirtschaftliche Zukunft bedeutet – und wo die Politik gefordert ist.
Transatlantischer Zollkompromiss: EU und USA verständigen sich auf 15-Prozent-Autozoll – rückwirkende Senkung möglich
Die EU und die USA haben sich auf eine weitreichende Zollvereinbarung geeinigt: Autoimporte aus Europa sollen künftig nur noch mit 15 % verzollt werden – rückwirkend. Doch das Entlastungssignal hat einen Preis.
Deutschlands Exportkrise: Die unterschätzte Rolle des Automatisierungsdefizits
Deutschlands Exportmaschine stottert – und das nicht nur wegen Energiepreisen und Bürokratie. Eine neue Bundesbank-Analyse offenbart, dass ein verborgenes Strukturproblem die Wettbewerbsfähigkeit untergräbt: das Automatisierungsdefizit.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.