Arbeitskosten blieben in 2021 stabil

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Durch Kurzarbeit und staatliche Unterstützungszahlungen ist es gelungen, zahlreiche Unternehmen und mehrere Millionen Arbeitsplätze in den Corona-Jahren 2020 und 2021 zu retten. Gleichzeitig haben sich die Arbeits- und die Lohnstückkosten der deutschen Privatwirtschaft über die gesamte Krise hinweg absolut stabilitätskompatibel entwickelt, es gibt bislang keine Anzeichen für eine Preis-Lohn-Spirale – trotz der schon im zweiten Halbjahr 2021 deutlich anziehenden Inflation.

Im Jahresdurchschnitt 2021 sind die Arbeitskosten in Deutschland lediglich um 1,2 Prozent gestiegen und damit deutlich schwächer als im ersten Corona-Jahr 2020, als der Zuwachs mit 2,2 Prozent bereits recht moderat ausfiel. Trotz der auch im zweiten Krisenjahr verbreiteten Kurzarbeit zur Beschäftigungssicherung, die für Betriebe trotz staatlicher Erstattung einige Rest-(Remanenz-)kosten bedeutet, war der Zuwachs auch etwas niedriger als im Durchschnitt der EU (1,5 Prozent) und nur geringfügig höher als im sehr niedrigen Mittel des Euroraums (1,0 Prozent).

Damit rangiert die Bundesrepublik bei den Arbeitskosten für die private Wirtschaft weiterhin im oberen Mittelfeld Westeuropas, 2021 wie im Vorjahr auf Position sieben im EU-Vergleich. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. [1]

Deutschland und Europa seien seit zweieinhalb Jahren mit außergewöhnlich heftigen gesellschaftlichen und außenwirtschaftlichen Schocks konfrontiert, so Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Erst die Pandemie, aktuell der russische Angriffskrieg in der Ukraine – und aus beiden Schocks folgend eine Inflation, wie es sie seit den 1980er Jahren nicht mehr gegeben habe. Umso bemerkenswerter sei der Befund, den die Analyse der Arbeits- und Lohnstückkosten bringe: Die tiefe Krise habe in den Daten kaum Spuren hinterlassen. Im Gegenteil:

Die meisten europäischen Länder und insbesondere Deutschland sind bislang binnenwirtschaftlich recht stabil und außenwirtschaftlich hoch wettbewerbsfähig durch die vergangenen Jahre gekommen. Die von manchen beschworene Preis-Lohn-Spirale ist bislang kein Thema.

Hier zeige sich wieder einmal, wie stabilitätsfördernd das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft ist – sowohl durch die direkte Mitwirkung der Beschäftigten an strategischen Unternehmensentscheidungen im Rahmen der Mitbestimmung wie auch durch die relativ zentralisierten und gut koordinierten Tarifverhandlungen.

Arbeitskosten und Lohnstückkosten im Inflationsziel

Stärker von der Pandemie betroffen waren zwar zunächst die Lohnstückkosten, weil krisenbedingt die Arbeitnehmerentgelte etwas stärker gestiegen sind bei gleichzeitig schwacher Produktivitätsentwicklung. Diese Entwicklung war schon während der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beobachten und ist ein Zeichen der erfolgreichen Beschäftigungssicherung: Durch die Nutzung der Kurzarbeit werden zwar die Arbeitskosten insgesamt für die Betriebe reduziert, die Arbeitskosten je Stunde steigen jedoch temporär, da aufgrund von Remanenzkosten der Kurzarbeit die Arbeitskosten weniger stark zurückgingen als die geleisteten Arbeitsstunden.

Dieser Effekt hat sich mit der relativen Entspannung im zweiten Corona-Jahr jedoch umgekehrt, so dass im Jahresdurchschnitt 2021 die deutschen Lohnstückkosten um lediglich 0,8 Prozent gestiegen sind, nach 3,4 Prozent 2020. Schaut man auf beide Corona-Jahre, lag der jährliche Durchschnitt bei 2,1 Prozent – und damit fast genau auf dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2,0 Prozent. Zudem haben die deutschen Lohnstückkosten selbst mit dem vergleichsweise kräftigen Anstieg 2020 im gesamten Zeitraum von 2000 bis 2021 im Jahresmittel nur um 1,3 Prozent zugenommen – langsamer als im ebenfalls geringen Durchschnitt des Euroraums ohne Deutschland (1,9 Prozent) und weitaus weniger als mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent vereinbar. Dies sei auch ein Grund, warum wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft weiterhin große Reserven hätten, wie man an den hohen Gewinnen vieler Großunternehmen sehe, so Dullien.

Trotz der aktuell hohen Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine mahnt der wissenschaftliche Direktor des IMK zu mehr Gelassenheit: Stabilitätskonform sei ein gesamtwirtschaftliches Lohnwachstum im Rahmen der Zielinflationsrate der EZB von zwei Prozent plus dem Produktivitätswachstum von im Trend ein Prozent. Bei der Bewertung des Lohnwachstums 2022 und 2023 müsse zudem mit einbezogen werden, dass die Lohnkosten 2020 und 2021 langsam gestiegen seien. Selbst wenn man im Jahr 2022 mit dem Lohnkostenanstieg im Durchschnitt aller Branchen etwas über 3 Prozent läge, wäre das noch keine echte Preis-Lohn-Spirale, sondern lediglich eine Korrektur der schwachen Vorjahre.      

Die Entwicklung der Lohnstückkosten in der Corona-Pandemie habe erneut vor Augen geführt, dass der Euroraum als Ganzes und insbesondere Deutschland nichts an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben und auch während der Coronakrise von Seiten der Lohnentwicklung keine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit gedroht habe, betonen auch Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein und Dr. Ulrike Stein, die die neue Studie zusammen mit Friederike Kotthaus geschrieben haben.

Das unterstrichen auch die Außenhandelsüberschüsse des Euroraums und Deutschlands: Die Euroländer insgesamt verzeichneten 2021 einen Leistungsbilanzüberschuss von 3,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP). Noch weitaus höher war der Wert für die Bundesrepublik: Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds belief sich der deutsche Leistungsbilanzüberschuss auf 238 Milliarden Euro oder 6,7 Prozent des BIP.

Das war zwar ein Prozentpunkt weniger als vor Ausbruch der Pandemie, aber immer noch oberhalb der Grenze von 6 Prozent, welche die EU als problematisch ansieht. Viele internationale Ökonomen und Politiker sind mit Blick auf das seit vielen Jahren immense Plus im deutschen Außenhandel ohnehin noch deutlich kritischer und sehen darin einen Störfaktor für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Nach Analyse von Stein, Herzog-Stein und Kotthaus haben solche Debatten nicht an Dringlichkeit verloren. Im Gegenteil: In dem vor uns liegenden drastisch veränderten Umfeld einer langsam ausklingenden globalen Pandemie und des schrecklichen Ukrainekriegs direkt vor der Haustüre der Eurozone mit temporär hohen Preissteigerungsraten werde es zukünftig darum gehen, sicherzustellen, dass der Euroraum und seine Mitgliedstaaten mehr als in der Vergangenheit von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung getragen werden, die ihre Stärke wesentlich aus einer dynamischen Binnenentwicklung erhalte und so die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation, die in diesem veränderten Umfeld noch an Dringlichkeit gewonnen habe, erfolgreich meistern können, schreiben die Forschenden. Sie stellen fest:

Eine Lohnentwicklung, die sicherstellt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am gesellschaftlichen Wohlstandsfortschritt auch in diesen Zeiten des Wandels ausreichend partizipieren, ist hierfür unerlässlich.

Dies sicherzustellen könne bei den derzeitigen Inflationsraten aber nicht allein die Lohnpolitik leisten, betont IMK-Direktor Dullien. Hier werde die Wirtschaftspolitik als Ganzes gefragt sein. Etwa mit weiteren direkten Entlastungszahlungen an Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen, die unter der Teuerung von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs wie Lebensmitteln und Haushaltsenergie besonders stark leiden. Das nehme, seines Erachtens, dann auch Druck aus den Tarifverhandlungen und reduziere das Risiko, dass doch noch Preis-Lohn-Spiralen in Gang kommen.

Detaillierte Ergebnisse der neuen Studie finden Sie hier.

Anmerkung:

[1] Alexander Herzog-Stein, Friederike Kotthaus, Ulrike Stein: Arbeits- und Lohnstückkostenentwicklung 2021: Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. IMK Report Nr. 176, Juli 2022. Download.