Das Neujahrsgrußwort von Felix Hufeld

© Bernd Roselieb / BaFin

Die Corona-Pandemie verhindert in diesem Jahr den traditionellen Neujahrsempfang der BaFin. Der Präsident der BaFin, Felix Hufeld, veröffentlicht seine Neujahrsansprache deshalb im Netz.

Als wir uns Anfang 2020 zu unserem traditionellen Neujahrspresseempfang trafen, ahnten wohl die wenigsten von uns, dass sich nur einige Wochen später ein gefährliches neues Corona-Virus rund um den Globus ausbreiten würde. Die Corona-Pandemie verbietet Zusammenkünfte dieser Art, und so wende ich mich diesmal mit einem schriftlichen Statement an Sie.

Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Direktorium wünsche ich Ihnen und Ihren Angehörigen das Beste für das Jahr 2021. Das alte Jahr war geprägt von Themen, die auch das neue prägen. Auf drei dieser Themen möchte ich eingehen: die Corona-Pandemie und ihre Folgen für den Finanzsektor, die Konsequenzen aus dem Fall Wirecard und den Brexit. Gelegentlich ist zu hören, der Corona-Krise folge eine systemische Bankenkrise.

Dabei steht der deutsche Bankensektor – aus heutiger Sicht – sogar relativ robust da. Vor allem dank der regulatorischen Reformen nach der Finanzkrise 2007/2008. Wir haben, gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank, simuliert, was passieren könnte, wenn es trotz aller Rettungsprogramme zu einer tiefen Rezession käme. Das Ergebnis war: Selbst, wenn das Bruttoinlandsprodukt um 10,8 Prozent einbräche, könnten die weniger bedeutenden Institute im Durchschnitt eine harte Kernkapitalquote von 11,2 Prozent vorweisen.

Das ist mehr, als wir gesetzlich verlangen. Eine Systemkrise scheint daher derzeit eher unwahrscheinlich. An der Stelle ein fünffaches Aber.

Erstens: Die Lage sähe heute schlechter aus, wenn Bundesregierung, Europäische Zentralbank und Aufsicht nicht weitgehende Maßnahmen ergriffen hätten, um die Folgen der Pandemie zu mildern. Zweitens: Es werden vermehrt Kredite ausfallen, vor allem wenn die staatlichen Hilfen ein Ende haben.

Ungewiss ist nur, wann genau dies geschieht und wie groß die Löcher sein werden, die die Kreditausfälle in die Bilanzen reißen werden. Wir werden mutmaßlich mehrere Wellen erleben. Drittens: Der Sektor mag robust sein, das heißt aber nicht, dass alle Banken es sind.

Einzelne Institute, die schon vor Corona sehr schwach dastanden, überstehen die Krise möglicherweise nicht.

Viertens: Es lässt sich nicht seriös vorhersagen, wie sich die Wirtschaft in der Pandemie entwickeln wird. Wir rechnen daher in Szenarien. Die verfeinern wir zwar immer mehr, sie bleiben aber, was sie sind: Szenarien. Wenn man die derzeitige Situation mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es „Unsicherheit“.

Umso wichtiger ist es für die Finanzinstitute, für möglichst viele Eventualitäten vorzubauen. Unter anderem durch einen sehr zurückhaltenden Umgang mit Gewinnausschüttungen. Und last but not least die bekannten Probleme der deutschen Bankenlandschaft. Die überraschungsfreie Nachricht lautet: Sie sind noch da, und sie haben sich eher verstärkt denn verringert. Das Zinsergebnis, in Deutschland immer noch Ertragsquelle Nr. 1, ist nach wie vor niedrig, die digitale Konkurrenz dafür umso innovativer und lebhafter. Da ist schon sehr viel Ideenreichtum gefordert – und Entschlossenheit, denn die Zeit drängt.

Es gibt Institute, die trotz der schwierigen Bedingungen beides sind: ideenreich und entschlossen. Andere wiederum scheinen sich eher aufs Warten zu verlegen – darauf, dass sich die Großwetterlage bessert und die Zinsen wieder steigen. Das wird nicht funktionieren.

Wie geht es den Versicherern?

Als erstes ein Blick auf die, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Da geht es zum Beispiel um Produkte wie insbesondere Kredit- und Kautionsversicherungen, Veranstaltungsausfallversicherungen und Betriebsschließungsversicherungen. Bei einigen Betriebsschließungspolicen ist klar, dass gezahlt werden muss, bei einigen ist klar, dass nicht gezahlt werden muss. Vor allem über die weniger klaren Bedingungswerke zwischen diesen beiden Polen wird kontrovers diskutiert. Wie sie auszulegen sind, klärt aktuell die Rechtsprechung.

Liquiditätsprobleme sehen wir derzeit nicht. In Zeiten von Ansteckungsgefahren und sozialer Distanzierung kann aber das Neukundengeschäft leiden, vor allem in den Sparten, die direkt von COVID-19 betroffen sind. Reiseversicherungen etwa werden derzeit kaum gebraucht.

Auch bei den Lebensversicherungen lässt die Nachfrage tendenziell nach. Eine Kündigungswelle ist aber im Moment nicht zu beobachten. Die COVID-19-Pandemie dämpft die Hoffnung auf ein schnelles Ende der extrem niedrigen Zinsen. Das ist gerade für die Lebensversicherer und erst recht für Pensionskassen belastend.

Ob den Pensionskassen im Bedarfsfall ihre Träger und Aktionäre helfen könnten, hängt auch davon ab, wie es denen selbst geht. An den Finanzmärkten war die Stimmung kurz nach Ausbruch der Pandemie sehr angespannt. Hohe Kursverluste und hohe Mittelabflüsse bei einigen Fonds waren die Folge. Sogar das Gespenst einer erneuten Liquiditätskrise à la 2007/2008 ging damals um.

Die Unterstützungsmaßnahmen von Fiskus und Europäischer Zentralbank haben das Gespenst zum Glück vertrieben und schon im April für eine deutliche Beruhigung auf der Liquiditätsseite gesorgt. Aufgrund vergleichbarer Erfahrungen raten wir Assetmanagern aber, ihre Liquidität noch konsequenter mit den neuen Instrumenten abzusichern, die ihnen das Kapitalanlagegesetzbuch seit Ende März 2020 zur Verfügung stellt. Was die konkrete Umsetzung betrifft, befinden wir uns nach wie vor in einem engen Dialog mit der Industrie.

Sehr schnell nach Ausbruch der Pandemie hat die BaFin eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um den beaufsichtigten Unternehmen in der Krise den Rücken zu stärken und ungewollte prozyklische Effekte zu vermeiden. Wir können dies tun, weil die Unternehmen dank des bestehenden Regelwerks relativ widerstandsfähig sind und uns eben jenes Regelwerk diese Art von Flexibilität in einer Krise ermöglicht.

Dies heißt denknotwendig, dass wir die Regler wieder in Richtung Status quo ante hochfahren, wenn die Krise überwunden ist. Das werden wir, wie schon so oft gesagt, umsichtig und in kleinen Schritten tun. Wann wir es tun, lässt sich noch nicht sagen. Denn auch dabei sind wir abhängig davon, wie sich die Dinge entwickeln, Stichwort „Unsicherheit“. Was dagegen jetzt schon feststeht: Keineswegs können aus unseren temporären Krisenmaßnahmen eine Deregulierung oder eine Aufsicht der leichten Hand resultieren.

Noch einmal: Dass die Banken heute stabiler dastehen als vor der Finanzkrise 2007/2008, liegt in hohem Maße an den regulatorischen Lehren, die wir aus der damaligen Krise gezogen haben. Ein schwerer Schlag für den Finanzstandort Deutschland waren die Vorgänge rund um den Zahlungsdienstleister Wirecard. Vertrauen ging verloren, das nun wiederaufgebaut werden muss. Auch die BaFin leistet hierzu ihren Beitrag.

Wie lässt sich ein solcher Fall künftig verhindern – soweit kriminelles Handeln, begleitet von umfassender Täuschung, überhaupt verhindert werden kann? Voraussetzung für eine Beantwortung dieser Frage ist der Wille, den Dingen auf den Grund zu gehen. Diesen Willen haben wir. In enger Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen werden wir konkrete Initiativen ergreifen. Zum Beispiel in der Bilanzkontrolle: Hier soll die BaFin als staatliche Aufsicht umfassend gestärkt werden. Sie soll künftig schneller hoheitlich intervenieren können, Zuständigkeiten sollen klar definiert werden.

So sieht es der Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität vor. Diesen Ansatz begrüße ich sehr. In den ersten Monaten des neuen Jahres werden wir uns zudem intensiv mit einer Reihe weiterer Maßnahmen beschäftigen, mit denen sich unser Aufsichtshandeln insgesamt wirksamer gestalten lässt. Theresa Mays berühmter Satz „Brexit means Brexit“ ist Anfang des Jahres vollends Realität geworden.

Nun ist auch die Übergangsfrist vorbei, in der das Vereinigte Königreich trotz seines Austritts aus der Europäischen Union (EU) noch Teil der Zollunion und des Binnenmarkts war. Das ehemalige EU-Mitglied ist nun ohne Wenn und Aber ein Drittstaat. So sehr ich den Brexit bedauere, so erleichtert bin ich, dass die ganz harte Trennung ausgeblieben ist. In puncto Finanzdienstleistungen bleibt es allerdings sehr anspruchsvoll.

Hierfür gilt nun einerseits das Aufsichtsrecht der EU und andererseits das des Vereinigten Königreichs – es sei denn, es werden anderslautende Regelungen getroffen, etwa auf Basis von Äquivalenzentscheidungen der Europäischen Kommission. Finanzdienstleister, die im Vereinigten Königreich ansässig sind, können seit dem 1. Januar den Europäischen Pass nicht mehr nutzen. Sie haben keinen unmittelbaren Zugang zum gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mehr, können dort also nicht mehr grenzüberschreitend Finanzdienstleistungen erbringen.

Eine der Alternativen: Sie gründen in einem der EWR-Staaten eine Tochtergesellschaft, die dann den europäischen Pass nutzen kann. Wer das ohne Unterbrechung wollte, musste dies bis zum 31. Dezember geschafft haben. Bei rund 60 Finanzunternehmen ist die Standortwahl auf Deutschland gefallen, sie haben sich also vor dem Jahreswechsel hier niedergelassen oder ihr Geschäft hier deutlich ausgebaut.

Um ihnen einen reibungsarmen Start zu ermöglichen und Chaos an den Märkten zu verhindern, haben wir wechselwillige Unternehmen schon sehr früh darüber informiert, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen sie hier erwarten. Wir haben viele Gespräche geführt, wir haben Workshops organisiert, ungezählte hochkomplexe Fragen beantwortet. Eine Mühe, die sich gelohnt hat. Das befürchtete Chaos ist – jedenfalls bislang – ausgeblieben, die Finanzstabilität hat keinen Schaden genommen.

Aber auch knapp drei Wochen nach Silvester sind noch Umsetzungsfragen zu klären. Was mir wichtig ist: Unser kurzer Draht zu unseren Kolleginnen und Kollegen in London soll auch in der Post-Brexit-Welt bestehen bleiben.

Brexit means Brexit, aber wir wollen das Beste daraus machen. Das Vereinigte Königreich ist nicht mehr Teil der Europäischen Union, aber es ist und bleibt ein Teil Europas. Wir sollten uns nun wieder auf unsere gemeinsamen Interessen besinnen.  Meine Damen und Herren, möge mein schriftliches Neujahrsstatement eine Ausnahme bleiben. Ihnen und uns wünsche ich, dass es noch in diesem Jahr gelingt, die Corona- Pandemie einzudämmen. Auf baldige Treffen von Angesicht zu Angesicht!