Verantwortungsvoll in die Zukunft

Verantwortungsvoll in die Zukunft
Thomas Gebhardt, Vorstandsvorsitzender, Waldenburger Versicherung © Waldenburger Versicherung

Zu keiner Zeit wurde so intensiv über die Pflichten und Versäumnisse in Bezug auf unsere natürlichen Ressourcen und die Risiken des Klimawandels berichtet wie im Vorfeld der Europawahl 2019 und im Zusammenhang mit der Tatsache, dass junge Menschen mutig und regelmäßig mit „Fridays for Future“ auf die Straße gehen. Für die Waldenburger Versicherung standen die Zeichen schon vor einiger Zeit auf Veränderung. Der experten Report spricht mit dem Vorstandsvorsitzenden Thomas Gebhardt über den anspruchsvollen Weg in eine nachhaltige Zukunft.

Herr Gebhardt, Nachhaltigkeit und grüne Themen – damit ist aber keine politische Haltung gemeint – rücken zunehmend in die Wahrnehmung. Die Haltung dazu verändert sich in vielen Dingen. Nun hat die Waldenburger schon vor geraumer Zeit Nachhaltigkeit im Unternehmen fest verankert. Was war damals die Initialzündung?

Thomas Gebhardt: Es gibt eine einfache Erklärung – die Zeit war reif für eine Veränderung und die Waldenburger Versicherung ist mitten in dieser Transformationsphase. Auslöser war ein Zusammentreffen mit der Greensurance Stiftung | Stiftung für Mensch und Umwelt und ein wachsendes Verständnis für den Wandel, bei dem auch eine kleine Waldenburger Versicherung ihren Teil zum großen Ganzen beitragen kann. Wie jede unserer Kundinnen und jeder unserer Kunden sind wir ein Teil im gesellschaftlichen Getriebe und müssen Verantwortung für den Klimawandel übernehmen. Im Zuge eines kompletten Unternehmensumbaus blieb seit 2017 bei der Waldenburger Versicherung kein Stein auf dem anderen. Unternehmensstrategie, Produkte, Kundenservice, Digitalisierung und natürlich auch das Selbstverständnis des Unternehmens und dessen Verantwortung in der Gesellschaft führten zur Entscheidung für eine nachhaltige Ausrichtung der Waldenburger Versicherung.

Nachhaltige Unternehmensführung findet sich idealerweise in allen Unternehmensbereichen und -ebenen wieder. Wie anspruchsvoll war der Prozess der nachhaltigen Transformation? Was dürfen wir darunter verstehen?

Für ein mittelständisches Versicherungsunternehmen sind diese Veränderungen eine riesige Herausforderung. Ausgangslage war und ist nicht, grüne, sprich nachhaltige Produkte zu vertreiben, sondern die Veränderung der Waldenburger in sich. Wir wollen mit einer nachhaltigen Ausrichtung unseren Anteil zum gesellschaftlichen Wandel beitragen und beginnen, uns zu verändern. Dies beginnt „top-down“ durch den Vorstand und wird „bottom-up“ durch die Mitarbeiter reflektiert.

Um unseren aktuellen Stand der Transformation und unsere zukünftigen Ziele in einem zeitlichen Rahmen zu dokumentieren, haben wir einen Nachhaltigkeitsbericht wie die großen Unternehmen erstellt, allerdings auf freiwilliger Basis, ohne die gesetzlichen Verpflichtungen hierzu. Wir sind noch lange nicht am Ende der Transformation und werden noch viel Kraft, Zeit und Geld investieren, um unserer Verantwortung in unserer Gesellschaft gerecht zu werden.

Sie stehen Green Washing kritisch gegenüber. Wie definieren Sie die Grundsätze eines rundum nachhaltigen Versicherungsunternehmens?

Für uns hat nachhaltige oder grüne Versicherung nichts mit der Namensgebung zu tun. Die nachhaltige Entwicklung bewegt sich in allen Bereichen eines Unternehmens und umfasst bei uns zum Beispiel grüne Produktangebote, Kapitalanlagen im Sinne der Nachhaltigkeit, die kontinuierliche Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Schulung von Mitarbeitern, die Kompensation aller unserer CO2-Emissionen, das Waldenburger Moor sowie eine ganzheitliche Ausrichtung beim Thema Nachhaltigkeit. Ich frage mich immer: Wie kann ein Unternehmen nachhaltige Produkte verkaufen, ohne selbst nachhaltig zu sein? Oder wie will ein Makler einem Kunden die Sinnhaftigkeit eines nachhaltigen Produktes erklären, wenn er selbst keine Kenntnisse zur Nachhaltigkeit hat?

Eine Ausgliederung in einen grünen Unternehmensteil oder die Bezeichnung „Der grüne Versicherer“ verändern ja nicht wirklich etwas. Wir werden aber auch weiterhin unser Unternehmen nachhaltig ausrichten, auch wenn der Absatz für solche Produkte nicht steigt. Ich glaube, damit hat die Waldenburger schon eine deutlich andere Zielsetzung als andere Anbieter.

Sie vertreten ganz klar die Auffassung: „Wo grün draufsteht, muss auch grün drin sein.“ Wie macht sich dieses Bekenntnis bei der Produktgestaltung bemerkbar?

Nachhaltigkeit und bestmöglicher Versicherungsschutz schließen sich nicht aus. Wir möchten unseren Kunden und nachhaltig lebenden Menschen die Möglichkeit geben, auch nachhaltige Produkte zu kaufen.

Die Inhalte sind hierzu sehr unterschiedlich. Je nach Risiko, ob Unfall, Hausrat, Wohngebäude oder auch bei privaten Haftpflichtansprüchen, erbringen wir Leistungen, die über den „normalen“ Leistungsumfang des jeweiligen Standardproduktes hinausgehen und nachhaltigen Charakter haben.

So erhalten Kunden unter anderem mit den greenʼsFAIR® ESG-Zusatzbedingungen umweltfreundliche Mehrleistungen bei einem fairen Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Produkte tragen zum Umwelt- und Klimaschutz bei. Kunden können Ökopunkte sammeln und werden damit für ihren nachhaltigen Lebensstil belohnt.

Für nachhaltige Investments/Kapitalanlagen wurden klassische Anlagekriterien um die Faktoren der Nachhaltigkeit des Anlageprojekts oder -objekts und auch der Mittelverwendung ergänzt. Bei grünen Rentenprodukten können Verbraucher diesen Ansatz leichter nachvollziehen. Wie kann dies bei Kompositversicherungen gelingen?

Bei einem Kompositversicherer ist das nicht anders. Auch hier gibt es Kapitalanlagen, die unter ESG-Bedingungen angelegt werden müssen. Der Umfang ist natürlich deutlich geringer als bei einem Lebens- oder Krankenversicherer, hat aber die gleiche Bedeutung im Gesamtkontext einer Unternehmensveränderung und gesellschaftlichen Wirkung.

Die Europäische Kommission hat bereits einen Entwurf veröffentlicht, in welcher Form auch Versicherungen Nachhaltigkeitsthemen bei der Kundenberatung berücksichtigen können. Die geplanten Regelungen würden wiederum Anpassungen in MiFID II und IDD bedeuten. Ist wieder eine Regulierung erforderlich, um Bewegung zu erzeugen?

Nein, das glaube ich nicht. Der gesellschaftliche Wandel hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung wird unterschätzt – siehe die Ergebnisse der Europawahl. Die Unternehmen werden sich darauf einrichten müssen, nicht nur nachhaltige Produkte zu vertreiben, sondern auch selbst nachhaltig zu sein, weil der Kunde darauf achtet.

Und falls ja, wie kann vorab schon eine stärkere Durchdringung erreicht werden? Menschen, für die Nachhaltigkeit in ihrem Leben wichtig ist, sind nicht automatisch als Ökos und Birkenstockträger zu definieren. Immerhin stehen 25 Prozent der Bevölkerung in unserem Land grünen Themen offen gegenüber.

Egal, ob eine gesetzliche oder marktwirtschaftliche Regelung eintritt, die Gesellschaft sollte viel früher mit der Aufklärungsarbeit beginnen. In den Schulen muss Nachhaltigkeit als Pflichtfach eingeführt werden, denn diese Generationen werden die Leidtragenden der heutigen Entwicklung sein. Nur wenn die aktuell agierende Generation von der nachwachsenden gemahnt wird, wird sich auch etwas verändern.

Wenn jeder hinterfragt und sein Verhalten kritisch prüft, wären wir schon einen großen Schritt beim Thema Treibhauseffekt und Klimaerwärmung weiter. Das Potenzial zeigt sich bei anderen Gütern, zum Beispiel Strom, Elektromobilität et cetera. Wichtig ist, dass die Produkte nicht extrem teurer sind als die nicht grünen Produkte. Viele Kunden müssen aufs Geld achten und würden gerne grüne Produkte kaufen – letztendlich muss es aber bezahlbar sein und bleiben.

Wenn wir Nachhaltigkeit in der Gesamtheit des Beratungsprozesses betrachten, müssten wir die These aufstellen, dass nur Vertriebspartner, die sich selbst nachhaltig positionieren, auch entsprechend beraten können. Würden Sie das bestätigen?

Wir sind der Meinung, dass ein nachhaltiges Produkt auch nur von wissenden, sprich nachhaltig denkenden Vermittlern erklärt werden kann, denn auch ein nachhaltiges Versicherungsprodukt bleibt ein erklärungsbedürftiges Gut. Erst wenn die Vermittler verstanden haben, warum Unwetter teilweise für die Erhöhung der Wohngebäudeprämie verantwortlich sind,  werden die Kunden verstehen, vor welchen Herausforderungen unsere Gesellschaft steht, und hoffentlich zum Wandel beitragen.  Bisher sind die Vermittler mit nachhaltigen Kenntnissen jedoch deutlich in der Unterzahl. Nicht jeder Versicherungsmakler kann bei uns die Produkte mit den greensʼFAIR® ESGZusatzbedingungen vermitteln.

In Kooperation mit der Greensurance Stiftung | Stiftung für Mensch und Umwelt halten wir diese nachhaltigen Produkte exklusiv für Makler bereit, die das Know-how zum nachhaltigen Vermittler haben. Daran halten wir fest, auch wenn der Markt derzeit anders agiert und jeder Vermittler grüne Produkte, und das höchst erfolgreich, über die Mitbewerber verkaufen kann.  Wie gesagt, wir haben die ESG-Produkte nicht für den Absatz,  sondern für die Nachfrage geschaffen.

Grüne Themen sind kein Trend mehr, es handelt sich vielmehr um eine grundsätzliche Lebenseinstellung. Welche Pflichten hat eine Green Economy im Finanz- und Versicherungssektor?

Auf den Punkt gebracht: dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken. Das beginnt bei der Kapitalanlage, geht weiter über die Verbrauchsmaterialien, Energieschöpfung, Entlohnungs- und Beschäftigungskonzepte und endet bei der Zeichnung von Risiken.

Und zu guter Letzt, wo stehen wir mit der Green Economy in der Versicherungsindustrie in fünf Jahren?

Ähnlich wie im Bereich Strom vor fünf Jahren: Die Entwicklung wird vor der Versicherungsbranche nicht haltmachen. Wenn wir heute bei Lidl und Aldi nachhaltige Produkte – und hier meine ich nicht nur Lebensmittel – kaufen können, warum sollte der Verbraucher beim Kauf von Versicherungsprodukten sich nicht verändern? Die Frage ist nur: Wie aufgeklärt ist der Endverbraucher,  und das wird in fünf Jahren deutlich besser der Fall sein als vor fünf Jahren.

Herr Gebhardt, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Mehr zum Thema in der Ausgabe 06/1019

 

Bilder: (1) © Waldenburger Versicherung (2) © experten-netzwerk GmbH