Die Einführung des KapMuG im Jahre 2005 war der Erkenntnis geschuldet, dass die bis dato im deutschen Zivilprozessrecht als Regel vorgesehene individuelle Rechtsdurchsetzung in kapitalmarktrechtlichen Massenschadensfällen an seine Grenzen stößt und den verfassungsmäßig garantierten Rechten der Geschädigten, aber auch den Emittenten von Wertpapieren, keinen effektiven Rechtsschutz zu garantieren vermochte.
Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung des KapMuG folglich die Schaffung eines effektiven kollektiven Rechtsschutzes. Nun wurde das bis Ende August 2024 befristete KapMuG in weiten Teilen reformiert. Am 13. Juni 2024 hat der Deutsche Bundestag dem Gesetz nach 2. und 3. Lesung unter Berücksichtigung einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12.06.2024 zugestimmt. Das Gesetz ist nun erstmals unbefristet.
Dabei werden wesentliche Änderungsvorschläge der Kanzlei TILP im Gesetz aufgegriffen, siehe hierzu die schriftlichen Stellungnahmen zum Referentenentwurf vom 30.01.2024 und zum Regierungsentwurf vom 05.04.2024 sowie die weitere Stellungnahme des als Sachverständigen zur Expertenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags geladenen TILP-Geschäftsführers Peter Gundermann und dessen mündliche Ausführungen vor dem Rechtsausschuss.
Die beiden wichtigsten Punkte
In den §§ 3, 6 und 10 KapMuG wird nun erstmals ein abstrakter Abhängigkeitsmaßstab positiv geregelt. Das Wort „voraussichtlich“ verankert die bereits bei Erlass des bislang geltenden KapMuG bestehende Intention des Gesetzgebers im Gesetzestext und erteilt dem konkreten Abhängigkeitsmaßstab des BGH eine deutliche Absage. Der abstrakte Abhängigkeitsmaßstab senkt die Hürden für die Aussetzung deutlich, was den Zugang zu einem Musterverfahren künftig wesentlich erleichtern dürfte. TILP-Anwalt Christian Herrmann führt dazu aus:
Die Formulierung „voraussichtlich“ knüpft an die in der ZPO verwendete Terminologie an und bringt das Erfordernis einer von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragenen Prognoseentscheidung des Prozessgerichts zum Ausdruck, ohne dass es auf jede Einzelheit ankommt oder schlimmstenfalls auf LG-Ebene sogar eine lähmende Beweisaufnahme zu einzelnen Fragen durchgeführt werden müsste, bevor es zu einer Beteiligung an einem Musterverfahren durch Aussetzung kommt. Dies dient dem gewünschten Bündelungseffekt und vermeidet, dass parallel zum Musterverfahren tausende von Einzelverfahren auf LG-Ebene geführt werden müssen.
Die neu eingefügte Regelung in § 17 KapMuG ist der Regelung des § 33g des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) entlehnt. Sie ist auf die besondere prozessuale Situation des Musterverfahrens zugeschnitten. Zweck der Regelung ist es, Informationsasymmetrien zwischen den Verfahrensbeteiligten auszugleichen. Die Tatbestandsvoraussetzungen entsprechen – unter punktueller Anpassung an die prozessuale Situation des Musterverfahrens – dem § 33g Absatz 1 GWB. TILP-Geschäftsführer Peter Gundermann kommentiert diese erfreuliche Neuregelung:
Die erstmalige Regelung eines im KapMuG verankerten Antragsrechts zur Vorlage von Beweismitteln, dem das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen entsprechen muss, ist ein echter Meilenstein im Rahmen der Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, ich möchte fast sagen ein Stück Rechtsgeschichte. Das gab es vorher noch nie im deutschen Kapitalmarktrecht. Diese gerichtliche Anordnungsbefugnis bietet besondere Gewähr für eine effektive Klärung solcher Ansprüche in wesentlich kürzerer Zeit und erhöht den Druck, sich rascher zu einigen.
„Wir haben mit unseren Stellungnahmen inklusive Anhörung als Sachverständiger vom 15.05.2024 sehr gute Punkte im Sinne des Investorenschutzes durchsetzen können. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Kämpfen lohnt!“, so Gundermann weiter.
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