Psychische Vorerkrankung: Ein K.-o.-Kriterium für die BU-Versicherung?

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Drehen wir das Rad der Zeit einmal um 40 Jahre zurück. Das tarifliche Angebot an Vorsorgelösungen zur Absicherung der Arbeitskraft war – euphemistisch ausgedrückt – überschaubar. Auch Anfang der 1980er-Jahre gab es Kunden, die mit Vorerkrankungen belastet waren, und ein zu hoher Blutdruck, der mit einer Dauermedikation therapiert werden musste, multiple Bandscheibenvorfälle oder ein operierter Gelenkschaden führten auch damals schon dazu, dass der Antragsprüfer den Daumen nach unten drehte.

Ein Beitrag von Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Bei einem Blick in die Leistungsstatistiken der Lebensversicherer in temporibus illis fällt auf, dass auch bei Auslösern einer leistungspflichtigen Berufsunfähigkeit Herz-Kreislauf-, Krebs- und Erkrankungen beziehungsweise Verletzungen des Skelettsystems dominierten. Psychische Erkrankungen wurden als Leistungsauslöser jedoch nicht gelistet.

In den Folgejahren schlichen sich psychische Erkrankung als Leistungsauslöser mit niedrigen einprozentigen Werten sehr diskret in die Statistiken der Lebensversicherer ein. Heute stellen Erkrankungen der Psyche die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit. So bezifferte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. den Anteil der auf psychische Erkrankungen zurückzuführenden BU-Versicherungsfälle für das Jahr 2021 auf knapp 30 Prozent.

Die Alltagsrealität sieht teilweise ganz anders aus: In einer Pressemeldung vom 03.01.2022 benannte die Debeka Lebensversicherung für ihren Kundenbestand den Anteil der mit einer psychischen Erkrankung der versicherten Person begründeten Versicherungsfälle mit 40,6 Prozent.

Alarmmeldung psychische Vorerkrankung

Mit Blick auf den hohen Anteil von psychischen Krankheiten als BU-Leistungsauslöser hatten die Lebensversicherer in den letzten Jahren eine sehr stringente Annahmepolitik verfolgt. Sofern ein Kunde eine psychotherapeutische Behandlungsmaßnahme in seiner medizinischen Vita gelistet hatte, wurden Anträge auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung regelmäßig abgelehnt oder zurückgestellt. In nicht wenigen Fällen verzichteten Versicherungsvermittler im Fall einer psychischen Vorerkrankung des Kunden auf eine Antragsaufnahme.

In den letzten Jahren, vor allem während der COVID19-Pandemie, stiegen die Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen weiter an. Auch bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten (Altersgruppe drei bis 17 Jahre) musste nach einer Studie der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ein Zuwachs von über 50 Prozent verzeichnet werden.

Insofern sind auch die Ursachen für eine Erkrankung immer kritisch zu hinterfragen. So hatte während der Pandemiejahre 2020 und 2021 die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen in vielen Fällen zu einer mindestens teilweisen sozialen Isolation von Kindern und Jugendlichen geführt. Entfallene Unterrichtseinheiten und der Distanzunterricht, gerade vor wichtigen Prüfungen, förderten zudem Versagensängste.

Viele Erwachsene wurden mit Kurzarbeit, dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder durch Betriebsschließungen mit der Einbuße ihrer wirtschaftlichen Existenz konfrontiert. Es überrascht also nicht, dass zunehmend mehr Menschen in diesen Ausnahmesituationen an und teilweise über die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit geführt wurden.

Psychische Krankheit ist nicht gleich psychische Krankheit!

Während die Diagnose Krebs noch vor wenigen Jahrzehnten mit einem Todesurteil für den Patienten gleichgesetzt wurde, begegnen wir dem Krankheitsbild heute mit einer differenzierten Betrachtung. Aufgrund von Vorsorgeuntersuchungen können viele Krebserkrankungen in einem sehr frühen Stadium erkannt, erfolgreich behandelt und häufig auch folgenlos ausgeheilt werden.

Natürlich sollte und darf eine Krebserkrankung nicht bagatellisiert werden, aber infolge der kontinuierlichen Weiterentwicklung der chirurgischen Methoden sowie der radiologischen und chemotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen haben medizinische Behandlungserfolge signifikant zugenommen.

Auch im Fall der psychischen Erkrankungen sind eine differenzierte Betrachtung der Erkrankung, die individuelle Beurteilung des Krankheitsbilds des Patienten sowie die möglichen therapeutischen und medikamentösen Behandlungsansätze und -maßnahmen zu bewerten.

Lautet die Diagnose Depression, ist jedoch keine abschließende Einschätzung der Situation des Patienten gegeben. So kann ein akutes Ereignis, zum Beispiel die Trennung vom Partner, Prüfungsängste oder eine berufliche Überforderung infolge einer Beförderung oder einer Versetzung, den Betroffenen schon einmal „aus der Bahn werfen“.

In vielen Fällen können erfahrene Psychotherapeuten nicht nur die Ursachen der Depression und der Versagensängste sehr schnell ergründen, sondern auch den Patienten mit einer leichten Depression mit einer professionellen Therapie auf seinem Weg zurück in einen geregelten Berufsalltag und ein erfülltes Privatleben begleiten.

Unsere Gesellschaft verändert sich

In den letzten Jahrzehnten haben sich unser Lebensalltag sowie die Lebensgewohnheiten in vielen Punkten grundlegend verändert. Ein Leben ohne Smartphone und eine damit verbundene ständige Erreichbarkeit ist für viele Menschen undenkbar. Die Präsenz in und die Kommunikation über die sozialen Medien, die umgehende Beantwortung der E-Mails, SMS- und WhatsApp-Nachrichten bedeuten für viele eine zusätzliche, wenn auch oftmals geleugnete Belastung.

Natürlich ist dies kein Plädoyer gegen soziale Medien. Sondern vielmehr der Hinweis darauf, kritisch zu hinterfragen, dass durch eine überbordende Online-Erreichbarkeit die Gefahr besteht, dass die soziale Kompetenz im Alltag dadurch leidet oder im Worst Case sogar verloren gehen kann.

Während die Generationen unserer Eltern und Großeltern regelmäßig in größeren Familienverbänden zusammen oder zumindest benachbart wohnten, ist der Single-Haushalt heute die mit Abstand häufigste Haushaltsform in Deutschland. Mit dem Homeoffice wurde die strikte Trennung von beruflichem und privatem Raum durchbrochen und auch nächtliche Arbeit am heimischen Schreibtisch wurde durchaus zur Gewohnheit.

So wie Adipositas, ein zu hoher Blutdruck, Alkohol- und Nikotinabusus, eine fettreiche Ernährung und Bewegungsmangel das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls deutlich erhöhen, so können berufliche Überlastung, fehlende soziale Kontakte und räumliche Isolation den Weg in eine Depression pflastern. Erschwerend kommt hinzu, dass eine psychische Erkrankung von vielen Familienmitgliedern, Freunden und Berufskollegen nicht akzeptiert und bagatellisiert wird. Ein fatales Fehlverhalten gegenüber den Betroffenen.

Differenzierte Risikoprüfung erforderlich

Mit einer Schwarz-Weiß-Annahmepolitik wird vielen Kunden der Weg zu der so wichtigen Absicherung ihrer Arbeitskraft mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung verbaut. Die Bayerische hat sich dieser Problematik ganz aktuell gewidmet und sich einer differenzierten Prüfung von psychischen Erkrankungen geöffnet.

Mit einem transparenten und verständlichen Fragebogen können Kunden die erforderlichen Angaben zu der erhobenen Diagnose, den Ursachen für die Erkrankung und den Symptomen, der Krankheitsdauer und den Behandlungsmaßnahmen für eine medizinische Risikoprüfung auch im Rahmen einer Voranfrage einreichen. Jeder Einzelfall wird individuell geprüft und in vielen Fällen werden sich Kunden, deren leichte Depression erfolgreich therapiert wurde, über einen positiven Bescheid freuen können.

Veränderte berufliche Rahmenbedingungen, die Forderung nach persönlicher Unabhängigkeit und eine oftmals damit verbundene, selbst auferlegte Isolation zahlen auf einen Wandel unserer Gesellschaft ein. Dieses Rad wird sich weiterdrehen und nicht nur die deutsche Versicherungswirtschaft wird sich darauf einstellen müssen.

Digitaler Biometrie Kongress: 23.05.2023

Die innovativen Maßnahmen der Bayerischen zeichnen den Weg in die Zukunft der Absicherung der Arbeitskraft vor und bilden deshalb auch auf dem 3. Biometrie Kongress einen Schwerpunkt.

Interessierte können sich hier anmelden.

Das Programm:

10: 00 Uhr Einleitung
(Maximilian Buddecke)

10:30 Uhr Zielgruppe im Detail: Absicherungsbedarf bei Soldatinnen und Soldaten
(Moritz Heilfort und Daniel Schünemann)

11:45 – 12:30 Uhr Mittagspause

12:30 Uhr Psyche in der BU-Risikoprüfung
(Dr. phil. Anna Kuhns und Marc Schellenberg, Moderator: Panos Kalantzis)

13:30 Uhr Der Leistungsfall: Besonderheiten bei Psyche / psychosomatischen Erkrankungen
(Alexander Schrehardt interviewt Dr. med. Julia Buddecke-Stachowitz und Michael Strencioch)

14:45 Uhr Zielgruppe im Detail: Absicherungsbedarf bei Schülerinnen und Schülern
(Panos Kalantzis und Max Dietrichs)

15:45 Uhr ZDF im Markt der Biometrie
(Martin Lensing und Maximilian Buddecke)

16:30 Uhr Verabschiedung
(Maximilian Buddecke)