Ungleichheit bei den Einkommen auf neuem Höchststand

Ungleichheit bei den Einkommen auf neuem Höchststand
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Die Einkommensungleichheit befindet sich trotz der über Jahre guten wirtschaftlichen Entwicklung auf einem historischen Höchststand. Das zeigen Berechnungen mit unterschiedlichen statistischen Maßen zur Einkommensverteilung.

Ungleichheit wächst – zwei Faktoren verantwortlich

Vor allem zwei Faktoren sind für das Wachstum der materiellen Ungleichheit in den vergangenen Jahren verantwortlich:

  • Hohe Einkommensgruppen haben von sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert. Dadurch haben sie die große Mehrheit der Haushalte in Deutschland beim verfügbaren Einkommen deutlich hinter sich gelassen.
  • Gleichzeitig sind die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen zurückgefallen. Auch gegenüber der Mitte, deren Einkommen wiederum durch die gute Arbeitsmarktlage und spürbare Lohnsteigerungen real solide zunahm.

Dementsprechend liegt die Armutsquote ebenfalls auf hohem Niveau. Die Armutslücke, sie beschreibt das Jahreseinkommen, das armen Haushalten rechnerisch fehlt, um die Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu überschreiten, ist zwischen 2011 und 2016 preisbereinigt um 29 Prozent gewachsen: Um 779 Euro auf mehr als 3400 Euro. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Dr. Dorothee Spannagel, WSI-Expertin, sagt:

„Die aktuellen Daten zeigen, dass all jene Politiker und Ökonomen falsch liegen, die Entwarnung geben wollten, weil sich der rasante Anstieg der Einkommensspreizung nach 2005 zunächst nicht fortgesetzt hat. Richtig ist: Die Ungleichheit wächst aktuell deutlich langsamer, und die Entwicklung unterminiert nicht mehr so stark die Position der Haushalte mit mittleren Einkommen wie vor anderthalb Jahrzehnten: Wer eine feste, reguläre Arbeitsstelle hat, der hat zuletzt auch nach Abzug der Inflation spürbar mehr Einkommen zur Verfügung, insbesondere, wenn sie oder er nach Tarif bezahlt wird.“

Trotz dieses positiven Trends, so die Forscherin „geht die Polarisierung in Deutschland weiter. Denn die Ränder der Einkommensverteilung streben auseinander: Der Niedriglohnsektor ist weiterhin sehr groß und ärmere Haushalte fallen zurück, während sich reiche weiter absetzen. Und dabei sind Deutschlands Superreiche, also Multimillionäre und Milliardäre, die vom langjährigen Boom bei Aktien und Immobilien besonders stark profitiert haben dürften, im SOEP nur schwach erfasst. Alles in allem haben wir den riskanten Weg zu größerer Ungleichheit immer noch nicht verlassen: Ausufernde soziale Spaltungen verstärken den Verteilungskampf, reduzieren soziale und politische Teilhabe und gefährden das Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft.“

Schere bei Einkommen wird größer

Der Gini-Koeffizient lag Ende 2016 sogar noch um zwei Prozent höher als 2005. Dieses Jahr gilt unter Forschern nach einem drastischen Anstieg der Einkommensspreizung seit Ende der 1990er Jahre als besonders „ungleich“.

Der Gini-Wert geht, nach einem leichten Rückgang im Jahr 2009, seit 2011 wieder nach oben. Die so gemessene Ungleichheit wuchs zwar langsamer als zuvor, aber fast stetig auf den neuen Höchststand. Dabei entwickeln sich die Einkommen in Ostdeutschland deutlich schneller auseinander als im Westen. Noch ist die Spreizung in den neuen Ländern spürbar geringer als in den alten, doch der Abstand zwischen Ost und West wird kleiner.

Armut wird größer

Der Blick auf zwei weitere Verteilungsmaße belegt zudem, dass sich die Schere bei den Einkommen öffnet:

  • Der Palma-Index vergleicht den Anteil des wohlhabendsten Zehntels der Haushalte an den gesamten Einkommen mit dem Part der unteren 40 Prozent. Dadurch reagiert er statistisch besonders sensibel auf Veränderungen am oberen Ende der Einkommensverteilung.
  • Der Theil-Index ist ein feiner Indikator für Entwicklungen in den „unteren“ Gruppen, die ein niedriges Einkommen haben.

An beiden Indizes lässt sich seit 2005 ein ganz ähnlicher Trend ablesen wie beim Gini-Koeffizienten: Nach einem Rückgang am Ende des vergangenen Jahrzehnts sind sie wieder deutlich angestiegen.

Die Veränderungen sind allerdings an den Rändern der Einkommen ausgeprägter. Das gilt nach vertiefter Analyse von Dr. Dorothee Spannagel insbesondere im unteren Bereich der Einkommensverteilung.

So ist der Anteil der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und deshalb nach gängiger wissenschaftlicher Definition als arm gelten, in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs spürbar gewachsen – von 14,2 Prozent 2010 auf 16,7 Prozent 2016.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre mache deutlich, dass eine positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht ausreiche, um Ungleichheit und Armut zu reduzieren, resümiert Verteilungsexpertin Dr. Dorothee Spannagel. Zumal, wenn politische Weichenstellungen nachwirkten, welche einen Anstieg der Einkommensungleichheit begünstigt haben. Dazu zählt die Wissenschaftlerin auch die Steuerpolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte: Während reiche Haushalte von der Senkung des Spitzensteuersatzes, der pauschalen Abgeltungssteuer oder der Reform der Erbschaftsteuer mit ihren zahlreichen Ausnahmen für Betriebsvermögen profitierten, wurden ärmere Haushalte durch höhere indirekte Steuern zusätzlich belastet.