Finfluencer versprechen schnellen Reichtum und liefern fragwürdige Tipps auf TikTok & Co. Doch wer haftet, wenn das schiefgeht – und was sagen Recht und Regulierung? Im Kommentar fordert Tim Grüger (TradingFreaks), das 'Problem Finfluencer' ernster zu nehmen.
Instagram, YouTube, TikTok – wo früher Schminktipps und Lifestyle-Content dominierten, geben heute vermeintliche Finanzexperten Aktienempfehlungen, erklären ETFs in 30 Sekunden und versprechen „passives Einkommen für alle“. Finfluencer, das neue Phänomen im digitalen Anlageuniversum, haben vor allem bei jungen Menschen eine enorme Reichweite. Was als Chance für niedrigschwellige Finanzbildung begann, ist längst auch ein Risikofaktor für die Anlegersicherheit geworden – insbesondere, wenn die Botschaft so verlockend und einfach klingt, aber im krassen Widerspruch zur Realität auf den Finanzmärkten steht. Höchste Zeit also, die Debatte zu versachlichen und zu regulieren.
Faszination Finanzcontent
Laut einer BaFin-Studie (2024) verlassen sich mehr als 50 Prozent der Gen Y und Z auf Finfluencer bei Anlageentscheidungen. Die Gründe liegen auf der Hand: Inhalte sind verständlich, kurzweilig, visuell und sie erreichen die Zielgruppe dort, wo sie lebt: in den sozialen Netzwerken. Doch diese neue Nähe zum Kapitalmarkt birgt Schattenseiten. Viele Finfluencer agieren ohne jede Ausbildung, verdienen an Affiliate-Links und lassen sich für „Empfehlungen“ bezahlen, ohne das transparent zu machen. Wie zum Teil internationale Studien zeigen, liefern weniger als sechs Prozent der Finfluencer renditestarke Empfehlungen, die Mehrheit hingegen liegt unterhalb des Marktniveaus. Zu einem ähnlichen negativen Ergebnis kommen US-Wissenschaftler, die sich speziell mit Krypto-Finfluencern auseinandergesetzt haben. Ihrer Studie zufolge taugen deren Empfehlungen kaum für langfristige Investitionen. Die Prognosen der Influencer auf X hätten ihren Followern nur in den ersten Tagen Gewinne gebracht, nach 10 bis 20 Tagen aber Verluste beschert. Und trotzdem funktioniert Content, der die Mär vom leicht verdienten Reichtum spinnt und großspurige Versprechen macht: In Aktien könne jeder erfolgreich investieren. Geldanlage sei noch nie so einfach gewesen. Indexfonds gelten als idiotensicher. Überhaupt sei man in 90 Minuten beim perfekten Depot. Seriöse Fachleute wie Charlie Munger oder Warren Buffett widersprechen.
Egal ob Clickbaiting dahintersteckt, Behavioural Biases, fundamentale Trugschlüsse über die Regeln des Marktes oder schlicht die Arroganz zu glauben, dass komplexe Aufgaben auch ohne notwendige Lernprozesse gemeistert werden können, in den allermeisten Fällen handelt es sich bei solchen Versprechen lediglich um eine marktschreierische Masche, die sich bei genauerer Betrachtung als Unsinn entpuppt. Wie ein aktuelles Rechtsguthaben im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) klarstellt, sind die juristischen Rahmendbedingungen für Finfluencer eindeutig. Sie dürfen über Geldanlagen informieren, wenn sie objektiv und transparent berichten und keine Interessenkonflikte verschweigen. Wer zusätzlich Verträge vermittelt, benötigt eine gesetzliche Zulassung. Ohne diese handeln Finfluencer rechtswidrig und riskieren Bußgelder oder sogar Strafen. Entsprechend fordert der BVK neben stichprobenartigen Kontrollen von „schwarzen Schafen“ durch die BaFin und der Ausweitung von § 34f GewO auf Kryptowerte auch einen besseren Verbraucherschutz – idealerweise nicht nur wie angekündigt durch juristische Maßnahmen, sondern auch durch bessere Finanzbildung.
Finanzwissen? Fehlanzeige!
Insgesamt gilt finanzielle Bildung in Deutschland als ausbaufähig. Laut OECD und BaFin trifft das gerade auf Menschen ohne höheren Schulabschluss, Meisterprüfung oder Studium, Frauen und ältere Personen zu. Diese Gruppen verfügen häufig weder über die gleichen Ressourcen noch über Zugang zu professionellen Finanzberatungen und sind daher anfälliger für finanzielle Fake News. Zwar macht es die fortschreitende Digitalisierung einfacher, an Informationen zu gelangen, allerdings sorgt ihre schiere Masse dafür, dass es zunehmend schwieriger wird, seriöse Fakten von gefährlichem Halbwissen oder absichtlichen Fehlinformationen zu unterscheiden.
Eine Situation, die manche Finfluencer gezielt ausnutzen, indem sie wirkmächtige Narrative nutzen, die starke Emotionen ansprechen. Ein Paradebeispiel hierfür stammt von Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller, der in „Narrative Economics“ den Bitcoin-Hype analysiert: Was als eine innovative, dezentrale Technologie begann, entwickelte sich rasant zu einem finanziellen Phänomen, das von massiven, oft spekulativen Investitionen begleitet wurde. Dabei trugen vor allem Influencer dazu bei, Storys von fantastischen Renditen, mühelosen Erfolgen und vermeintlich Null Risiko weiterzutragen.
Und viele Menschen haben sich hier verleiten lassen. Warum? Die Narrative verweisen beispielhaft auf den Erfolg einzelner Investoren, liefern „Aspirational Content“ und reduzieren komplexe Zusammenhänge auf simple, bekannte Erzählungen, die auf breite Resonanz stoßen, während die Risiken und die Volatilität von Kryptowährungen unter den Tisch fallen gelassen werden. Außerdem locken reißerische, übertriebene Überschriften – typisches Clickbaiting – mit dem Versprechen von schnellen Gewinnen bei minimalem Aufwand, wobei ihre Urheber gezielt mit Eigenschaften wie Gier, FOMO (Fear of missing out), Neid, Ungeduld, Naivität und Faulheit spielen.
Psychologische Fallen und Behavioural Biases
Ein weiterer sehr menschlicher Aspekt, den sich manche Finfluencer zunutze machen, sind Behavioural Biases – systematische Denkfehler, die Entscheidungen beeinflussen. Anstatt rational abzuwägen, greift das Gehirn auf mentale Abkürzungen zurück, auch Heuristiken genannt, oder lässt sich von Emotionen leiten. Das Resultat sind oft impulsive oder unrealistisch optimistische Anlageentscheidungen mit finanziell nachteiligen Folgen. Besonders tückisch ist dabei die Tendenz zur Selbstüberschätzung: Wer ein paar Kursgewinne verbucht, ist noch längst kein Warren Buffett. Nachhaltige Renditen haben nichts mit Glück oder Copytrading zu tun. Hinzu kommt, nur weil ein Regelwerk auf den ersten Blick simpel wirkt, heißt es nicht, dass der Erfolg leicht zu erreichen ist. Ähnlich wie beim Schach, lassen sich die Grundregeln etwa im Daytrading relativ einfach in sechs Schritten überblicken. Trotzdem wird niemand über Nacht zu einem Garry Kasparov der Finanzszene. Nachhaltige Renditeerfolge erfordern Know-how, Disziplin, Übung, strategisches Denken und tiefgehende Analysen. Darüber hinaus profitieren unlautere Finfluencer auch vom gezielten Einsatz des Rückschaufehlers: Erfolgsbeispiele aus der Vergangenheit – etwa der frühzeitige Kauf eines Mietshauses, der Erwerb von Bitcoins oder der Einstieg in Aktien von Nvidia – werden so präsentiert, als wären sie mühelose Erfolgsgeschichten. Dabei wird bewusst überspielt, dass solche Beispiele oft Ausnahmen darstellen. Die Risiken und der hohe Einsatz von Wissen und Timing werden nicht thematisiert.
Mehr als Fake-News-Filter
Wer nachhaltig Vermögen aufbauen will, braucht mehr als nur ein feines Gespür für die manipulativen Tricks an den Finanzmärkten. Entscheidend ist eine klare Strategie, ergänzt durch fundierte finanzielle Bildung und den Willen, sich das nötige Fachwissen systematisch anzueignen – gerade im Bereich des Daytradings, wo Anleger auf kurzfristige Kursbewegungen setzen. In einem so dynamischen Umfeld sind Disziplin, Geduld und ein solides Fundament unerlässlich. Gerade zu Letzterem gehört es auch, ein tiefes Verständnis der Finanzprodukte zu entwickeln, strukturierte Entscheidungsprozesse aufzubauen und mit realistischen Renditeerwartungen zu arbeiten. Praktische Tools wie ein Trading-Tagebuch oder der Einstieg mit einem Demokonto können hier helfen, eigene Handelsmuster zu analysieren, emotionale Impulse zu vermeiden und Strategien risikofrei zu testen. Auch auf langfristiger Ebene gilt: Nur wer regelmäßig reflektiert, kann rational handeln. Automatisierte Sparpläne und Investitionstagebücher ermöglichen es, fokussiert zu bleiben und sich nicht von kurzfristigen Hypes oder „schnellen Tipps“ im Netz verführen zu lassen. Letztlich beginnt strategischer Investitionserfolg im Kopf. Mit einem realistischen Mindset, kontinuierlicher Weiterbildung und der Einsicht, dass Vermögensaufbau ein Marathon ist – kein Sprint. Wer das verinnerlicht, kann auch mit begrenztem Zeitbudget langfristig erfolgreich investieren.
Über den Autor:
Tim Grüger ist erfahrener Trader & Finanzexperte. Mit TradingFreaks bietet er realitätsnahe Strategien für nachhaltigen Vermögensaufbau. Präzision, Disziplin & Risikobewusstsein zeichnen seinen Ansatz aus.
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