Vorsorgeberatung auf Grundlage der DIN-Norm 77230

© InsideCreativeHouse – stock.adobe.com

In den meisten Vermittlerunternehmen steht die Vorsorgeberatung zur Absicherung der Arbeitskraft regelmäßig auf der Tagesagenda. Mithilfe von Softwarelösungen führender Ratingagenturen werden Tarife ausgewählt, Beiträge geprüft und Angebote erstellt. Nachdem die Berufsunfähigkeitsversicherung vom Versicherer policiert und der Versicherungsschein vom Kunden im Vorsorgeordner abgeheftet wurde, geraten diese wichtigen Vorsorgeverträge in vielen Fällen sehr schnell in Vergessenheit. Erst wenn ein erkrankter oder verunfallter Kunde wegen einer Leistung anfragt, wird der Vorsorgevertrag wieder an das Tageslicht geholt.

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR © AssekuranZoom GbR

Der BU-Versicherungsfall ist die Stunde der Wahrheit und zu diesem strategisch höchst ungünstigen Zeitpunkt werden gleichermaßen Tarifschwächen und Beratungssünden erkennbar. Anlässlich eines Antrags auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, der von einem der Autoren als Versicherungsberater begleitet wurde, fragte der erkrankte Kunde wegen der Krankengeldleistungen seines gesetzlichen Krankenversicherers an.

Der Versicherungsnehmer war als Prokurist im Anstellungsverhältnis mit hoher Budget- und Personalverantwortung in der Führungsebene eines Unternehmens tätig und hatte sich als Alleinverdiener und Vater von zwei Kindern für eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden. Nach Ablauf der gesetzlichen Entgeltfortzahlung hatte der Kunde von seiner Krankenkasse ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Krankengeldleistung erhalten, die sich nach Abzug der anteiligen Sozialversicherungsbeiträge auf nicht einmal 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens bezifferte.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist Dr-Klaus-Moeller-2023-Defino-1024x1024.jpg
Dr. Klaus Möller, Vorstand, DEFINO Institut für Finanznorm AG

Die Höhe der Krankengeldleistung konnte schnell erklärt werden. So hat der Gesetzgeber in § 47 Abs. 6 SGB V normiert, dass das Regelentgelt des Versicherten als Grundlage für die Bemessung des Anspruchs auf Krankengeld bis zur Höhe der kalendertäglichen Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung berücksichtigt wird. Nachdem das Nettoeinkommen des freiwillig versicherten Mitglieds deutlich über der Beitragsbemessungsgrenze lag, konnte die Versorgungslücke beim Bezug von Krankengeld sehr schnell aufgeklärt werden.

Eine derartige Situation bringt den Abschlussvermittler sehr schnell in Erklärungsnöte. Der zuständige Versicherungsmakler gestand seine Unterlassungssünde in der Vorsorgeberatung nicht ein, sondern erklärte, dass ihm das Einkommen des Kunden nicht bekannt war.

Mit dieser Aussage manövrierte sich der Makler allerdings noch tiefer in den Haftungssumpf, da einerseits die Frage nach einer qualifizierten Bedarfsermittlung aufgeworfen wird und andererseits bei der Absicherung einer höheren BU-Rente – im vorliegenden Fall 3.500 Euro pro Monat – Angaben zur Einkommenssituation des Antragsstellers in den letzten drei Jahren vor Antragstellung von den Lebensversicherern in den Anträgen obligatorisch abgefragt werden.

Der Blick in das Beratungsprotokoll

In den meisten Fällen wird ein Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend gestellt. Wenn der Lebensversicherer nach Prüfung des Antrags seine Leistungspflicht anerkennt, können sich die meisten Kunden erst einmal über einen warmen Geldregen in Form der nachzuzahlenden Rentenleistungen und der Rückerstattung von überzahlten Beiträgen freuen.

Sobald der vom Versicherer ausbezahlte Kapitalbetrag aufgebraucht ist und sich der Zahlungseingang auf die monatliche Rentenleistung beschränkt, kommt bei vielen Kunden Ernüchterung auf. Regelmäßig wird dann die Frage gestellt, warum die laufende Rentenleistung so niedrig ist. Eine Frage, die von dem einen Leistungsfall begleitenden Versicherungsberater nicht beantwortet werden kann. Der Blick in das Beratungsprotokoll des Vermittlers sorgt in nicht wenigen Fällen für Ernüchterung …

Der Gesetzgeber hat die Versicherungsvermittler in § 61 Abs. 1 Satz 2 VVG zur Dokumentation ihrer Beratung verpflichtet. Während nicht wenige Vermittler bei ihrer Dokumentationspflicht eine Laisser-faire-Haltung an den Tag legen, sind andere Vertreter der Versicherungszunft äußerst gewissenhaft. So notierte ein gewissenhafter Vermittler in seinem Beratungsprotokoll, dass „dem Kunden von der Angabe seiner seit Jahren behandlungsbedürftigen chronischen Rückenbeschwerden im Antrag abgeraten wurde, da dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Leistungsausschluss führen würde.“

Decken wir den Mantel des Schweigens über diesen Protokolleintrag und kommen wir nochmals auf die vom Versicherungsnehmer kritisierte Höhe seiner monatlichen BU-Rente zurück. An dieser Stelle ist eine Lanze für die vielen Vermittler zu brechen, die ihre Kunden jeden Tag auf hohem Niveau zur Absicherung des Berufsunfähigkeitsrisikos beraten und eine gewissenhafte Bedarfsermittlung im Vorfeld eines Vertragsabschlusses durchführen.

Allerdings, und diese Situation dürfte den meisten Vermittlern aus persönlicher Erfahrung bekannt sein, passen oftmals der für einen bedarfsgerechten Versicherungsvertrag erforderliche Beitrag und das verfügbare Vorsorgebudget des Kunden nicht zueinander. In diesem Fall werden dann regelmäßig chirurgische Eingriffe vorgenommen, das heißt die Rentenleistung beschnitten und/oder die Versicherungs- und Leistungsdauer gekürzt.

Sofern diese Vorgehensweise mit dem Kunden besprochen wurde und die genannten Veränderungen beim Versicherungsschutz dem Kundenwunsch entsprechen, ist dies dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Allerdings sollte der Kundenwunsch bezüglich eines vom ermittelten Bedarf abweichenden Versicherungsschutzes auch in geeigneter Form dokumentiert werden.

Vorsorgeberatung und DIN

Die Deutschen sind ein ordnungsliebendes Volk und somit verwundert es nicht, dass es DIN-Normen bereits seit über 100 Jahren in Deutschland gibt. Entdeckt wurde die Norm 1915 vom Militär und im Dezember 1917 wurde der Normenausschuss der Deutschen Industrie gegründet. Drei Monate nach seiner Gründung veröffentlichte das Institut die DIN 1, mit der die Maße von Kegelstiften festgelegt wurden, die auch im damals gängigen Maschinengewehr MG 08/15 verbaut wurden.

Jeden Tag helfen uns DIN-Normen im Alltag, zum Beispiel bei den Papierformaten. Die Normung von Bau- und Ersatzteilen ermöglicht eine passgenaue Produktfertigung, eröffnet im Alltag einen flexibleren Einsatz von Baugruppen und garantiert uns einen sicheren Auf- beziehungsweise Abstieg auf Treppen mit einer definierten Stufenhöhe. Der Erfolg von DIN-Normen im Alltag legte den Gedanken nahe, dass DIN-Normen nicht nur für die Fertigung von Bauteilen und die Qualitätssicherung von Lebensmitteln, sondern auch für strukturierte und reproduzierbare Prozesse angewendet werden könnten.

Die Geburtsstunde einer DIN-basierten Vorsorgeberatung schlug mit der Gründung der DEFINO Institut für Finanznorm AG. Der Unternehmensvorstand hat sich mit der Entwicklung verlässlicher Standards in der Finanzberatung eine Mission auf die Fahnen geschrieben.

So können mit einer nach DIN-Norm strukturierten Anamnese als Grundlage für eine gute Vorsorgeberatung nicht nur komplexe Themen aufgebrochen und dem Kunden in homöopathischen Dosen vermittelt werden, sondern auch Beratungsfehler und Unterlassungssünden vermieden werden. In einem öffentlichen Beitrag hat kürzlich Professor Schwintowski, der Gottvater des Versicherungsrechts, mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Normen einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit im Beratungsprozess leisten.

Die Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte

Mit der DIN-Norm 77230, der Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte, hat auf Initiative der DEFINO AG ein mit über 30 Experten aus verschiedensten Bereichen der Branche, Verbraucherschutz und Wissenschaft besetzter Ausschuss gleichermaßen eine Grundlage und einen Leitfaden für eine strukturierte Vorsorgeberatung von Privatkunden entwickelt im Konsens verabschiedet. Die Beteiligten haben mit der Entwicklung dieser ersten DIN-Norm rund um die Finanzberatung einen wichtigen Beitrag für eine weitgehend von Fehlanreizen befreite Vorsorgeberatung bei einer gleichzeitigen Verbesserung der Transparenz.

Die DIN-Norm 77230 lenkt dabei den Blick von Beratern und Verbrauchern nicht nur auf die Absicherung der Arbeitskraft, sondern auf alle Finanzthemen aus den Bereichen Absicherung, Vorsorge und Vermögensplanung, darunter auch Altersversorgung, Kranken- und Pflegeversicherung sowie private Kompositrisiken.

Mithilfe der DIN-Norm 77230 werden die für jeden Kunden individuell als relevant identifizierten Finanzthemen priorisiert und Bedarfsstufen zugeordnet:

  • Bedarfsstufe 1: Sicherung des finanziellen Grundbedarfs
  • Bedarfsstufe 2: Erhaltung des Lebensstandards
  • Bedarfsstufe 3: Verbesserung des Lebensstandards

Ebenso hilft die DIN-Norm, mit festgelegten Rahmenparametern und nach festgelegten Rechenregeln, für jeden Kunden seine individuellen Orientierungsgrößen zu den als relevant identifizierten Finanzthemen zu definieren.

Die DEFINO AG bietet Vermittlern die Möglichkeit einer Zertifizierung als Spezialist für die private Finanzanalyse nach DIN 77230 beziehungsweise als Spezialist für die geschäftliche Finanzanalyse nach DIN 77235. Zertifizierte Berater werden von der DEFINO AG in eine Datenbank aufgenommen, in der Kunden mit der Vorgabe ihres Wohnorts beziehungsweise der Postleitzahl einen Berater in ihrer
Nähe finden können

Bilder (2): © AssekuranZoom GbR (3): © DEFINO Institut für Finanznorm AG