Arbeits- oder schon berufsunfähig?

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Für Versicherungsnehmer einer Krankentagegeldversicherung ist die Schnittstelle zwischen Arbeits- und Berufsunfähigkeit oftmals eine Black Box. Wann genau endet eine leistungspflichtige Arbeitsunfähigkeit und damit auch der Anspruch auf das versicherte Krankentagegeld? In nicht wenigen Fällen finden sich für die Beantwortung dieser Frage höchst unterschiedliche Aussagen.

Ein Beitrag von Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR © AssekuranZoom GbR

§ 15 MB/KT 2009

Nach § 15 Abs. 1 b) der Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT) endet die Krankentagegeldversicherung mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit der versicherten Person. In diesem Zusammenhang muss ferner berücksichtigt werden, dass der Versicherungsnehmer dem privaten Krankenversicherer den Eintritt der Berufsunfähigkeit einer versicherten Person proaktiv anzeigen muss (§ 11 Satz 1 MB/KT 2009).

Auch wenn die MB/KT 2009 weder einen zwingenden noch einen halb zwingenden Charakter entfalten und nur als eine Empfehlung des PKV-Verbandes an die Mitgliedsunternehmen zu bewerten sind, haben die privaten Krankenversicherer die verpflichtende Anzeige einer Berufsunfähigkeit regelmäßig gleichlautend in ihren AVB geregelt. Sofern der Krankenversicherer erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis von der Berufsunfähigkeit einer versicherten Person erlangt, kann das überzahlte Krankentagegeld zurückgefordert werden.

Berufsunfähigkeit im Sinne der MB/KT 2009

Im nächsten Schritt ist die Frage zu stellen, wie ein privater Krankenversicherer eine Berufsunfähigkeit im Sinne seiner Versicherungsbedingungen auslegt. Nach den MB/KT 2009 liegt eine Berufsunfähigkeit vor, „wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig ist.“ Der geneigte Leser wird sicherlich der Aussage zustimmen, dass diese Vermengung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht besonders erhellend ist.

Sofern ein privater Krankenversicherer seine Leistungszahlung einstellen und die Krankentagegeldversicherung wegen Berufsunfähigkeit der versicherten Person beenden möchte, obliegt ihm die Beweispflicht. Dabei muss der Versicherer der versicherten Person eine Berufsunfähigkeit im Sinne seiner AVB nachweisen (BGH vom 30.06.2010, IV ZR 163/09).

In der Alltagspraxis verlangt der private Krankenversicherer nach einem längeren Bezug von Krankentagegeld regelmäßig die Vorstellung bei einem ärztlichen Gutachter, der entweder eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit oder eine Berufsunfähigkeit der versicherten Person testiert.

Sofern die versicherte Person zum Zeitpunkt der Berufsunfähigkeit noch arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, endet nach § 15 Abs. 1 b) die Krankentagegeldversicherung erst nach Ablauf von drei Monaten. Für diesen Zeitraum besteht dann noch, eine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit vorausgesetzt, ein fortlaufender Anspruch auf Krankentagegeld.

Einzelne Versicherer haben diesen Nachleistungszeitraum in ihren AVB mit sechs Monaten erklärt. Vermittler müssen beachten, dass der Zeitraum der Nachhaftung nicht in Kalendermonaten, sondern stichtagsgenau berechnet wird. Sofern der vom Versicherer beauftragte Gutachter die Berufsunfähigkeit der versicherten Person beispielsweise am 17.04.2023 festgestellt hat, würde nach den MB/KT 2009 im Fall einer fortlaufend testierten Arbeitsunfähigkeit noch ein Anspruch auf Krankentagegeld bis zum 16.07.2023 bestehen.

Berufsunfähigkeit im Sinne der AVB

Nachdem die Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung nur eine Empfehlung darstellen, können die Gesellschaften in ihren AVB inhaltlich von den MB/KT 2009 abweichen. Bei der Definition der Berufsunfähigkeit ist dies regelmäßig der Fall und die meisten privaten Krankenversicherungen erklären in ihren Bedingungswerken, dass der Bezug einer Berufsunfähigkeitsrente einer Berufsunfähigkeit im Sinne der MB/KT 2009 gleichsteht.

Allerdings sollten Versicherungsmakler die AVB der verschiedenen Anbieter sehr genau prüfen, da einige Gesellschaften ihre Leistungsfreiheit auch mit dem Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung begründen.

Der Gesetzgeber benennt in § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI die Rente wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung. Eine teilweise Erwerbsminderung liegt dabei vor, wenn der Versicherte weniger als sechs, aber mindestens noch drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Sofern das Leistungsvermögen für eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter drei Stunden absinkt, gilt der Versicherte als voll erwerbsgemindert.

Stellt man diese Betrachtung auf einen Acht-Stunden-Arbeitstag ab, so kann eine teilweise Erwerbsminderung eines Versicherten einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent entsprechen. Verfügt der Versicherte noch über eine Leistungsfähigkeit von weniger als sechs, aber von mehr als vier Stunden pro Tag, ist von einem geringeren Grad der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit auszugehen.

Diese Unterscheidung sollten auch Krankenversicherer, die den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung mit einer Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 b) MB/KT 2009 gleichsetzen, auch in ihren AVB vornehmen. Bedauerlicherweise ist dies nicht immer der Fall, wie der exemplarische Auszug aus den AVB eines Versicherers verdeutlichen soll:

Auszug aus den AVB der X Krankenversicherung:

Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig ist. Der Bezug einer Berufsunfähigkeits-/Erwerbsminderungsrente steht der Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen gleich.

Im vorliegenden Beispiel unterscheidet der Versicherer somit nicht zwischen einer teilweisen und vollen Erwerbsminderung und stellt sein Recht auf die Beendigung der Krankentagegeldversicherung auch nicht auf eine konkrete, das heißt prozentual bezifferte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ab.

Ein Kritiker dieser Betrachtung könnte nun anführen, dass der Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bei einem Lebensversicherer schneller begründet werden kann als der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Allerdings muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass es auch Kunden gibt, die keine BU-Versicherung unterhalten. Auch ein aufgrund einer Vorerkrankung vertraglich vereinbarter Leistungsauschluss kann im Ergebnis dazu führen, dass der Versicherte eine BU-Versicherung unterhält, jedoch keinen Anspruch auf die Zahlung einer BU-Rente geltend machen kann.

Die pauschale Aussage, dass der Bezug einer BU-Rente einer Berufsunfähigkeit im Sinne der Musterbedingungen entspricht, ist gleichermaßen kritisch zu sehen. Auch wenn die 50-Prozent-Klausel regelmäßig bei Abschluss einer BU-Versicherung vereinbart wird, so gibt es dennoch Kunden, die sich für eine 25-Prozent/75-Prozent-Klausel entscheiden.

Im Versicherungsfall würde dies dazu führen, dass der Versicherungsnehmer bereits ab einem BU-Grad von 25 Prozent einen anteiligen Rentenanspruch geltend machen kann. Nach den AVB der X Krankenversicherung würde auch dieser geringe Leistungsbezug zur Beendigung der Krankentagegeldversicherung und dem Erlöschen des Anspruchs auf Krankentagegeld führen.

Vorsicht mit der „Gelben-Schein-Regelung“!

Für viele Vermittler ist nur eine BU-Versicherung mit einer „Gelben-Schein-Regelung“ eine akzeptable Vorsorgelösung zur Absicherung der Arbeitskraft. Der garantierte Anspruch auf eine Leistungszahlung im Fall einer mindestens sechsmonatigen Arbeitsunfähigkeit ist unstrittig eine interessante, allerdings nur in der Versorgungsschicht 3 verfügbare Tarifleistung.

Vor dem Abschluss einer BU-Versicherung mit „Gelber-Schein-Regelung“ sollten vor allem Versicherungsmakler immer die Frage stellen, welche Tarifleistung im Fall einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit zur Auszahlung kommt. Während einige Gesellschaften eine Rente in Höhe der versicherten BU-Rente oder explizit eine Arbeitsunfähigkeitsrente zusagen, erklären andere Gesellschaften den Anspruch auf eine (temporäre) Zahlung der versicherten BU-Rente auch für den Fall einer Arbeitsunfähigkeit. Für Kunden mit einer Krankentagegeldversicherung ist dies eine äußerst explosive Gemengelage.

Mit seinem Urteil vom 10.02.2016 (20 U 204/15) hatte das OLG Hamm erklärt, dass, sofern der Krankenversicherer den Bezug einer BU-Rente als Grund für die Beendigung der Krankentagegeldversicherung in seinen AVB benannt hat, es ohne Bedeutung ist, ob die BU-Rente aufgrund von Arbeits- oder Berufsunfähigkeit zur Auszahlung kommt. Einzig die Tatsache, dass der Versicherte eine BU-Rente bezieht, begründet das Recht zur Beendigung des Versicherungsvertrags.

Rückforderung von Krankentagegeld

Der Anspruch auf eine BU-Rente besteht – vorbehaltlich einer vertraglich vereinbarten Karenzzeit – rückwirkend ab dem Ersten des Folgemonats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit. Ein rückwirkendes Leistungsanerkenntnis des Lebensversicherers und die Nachzahlung der BU-Rente konterkariert den Bezug von Krankentagegeld und führt regelmäßig zu einer Rückforderung des privaten Krankenversicherers. Diese Schnittstelle kann entschärft werden. Hierüber werden wir in der nächsten Ausgabe des Reports berichten.

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