Risikofaktor für Unternehmen: Zivile Unruhen

© Jacob Lund – stock.adobe.com

Wut über die wachsende soziale Ungleichheit und steigende Lebenshaltungskosten, schwindendes Vertrauen in Regierungen und eine zunehmende Polarisierung in der Politik sind die wichtigsten Faktoren, die zu einer Zunahme von Streiks, Protesten und zivilen Unruhen auf der ganzen Welt führen könnten. In diesem Umfeld müssen Unternehmen wachsam bleiben, um auf mögliche Bedrohungen vorbereitet zu sein. Neben kostspieligen Sachschäden an Gebäuden oder Vermögenswerten kann auch der Geschäftsbetrieb empfindlich gestört werden.

Das sind die Ergebnisse eines neuen Berichts des Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS).

Die Zahl der Streiks, Proteste und zivilen Unruhen habe in den letzten Jahren nicht nur zugenommen, sie werden auch immer schwerwiegender. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, berichtet Srdjan Todorovic, Head of Political Violence and Hostile Environment Solutions bei AGCS.

„Wir haben in den USA, in Chile und in Kolumbien Ereignisse politisch motivierter Gewalt mit Schäden in Milliardenhöhe erlebt. Obwohl viele der Gründe dafür universell sind – ob wirtschaftlich, politisch oder umweltbedingt – sind die Auswirkungen regional unterschiedlich,“ so Todorovic weiter.

Er rät dazu, dass das Betriebs- und Sicherheitsmanagement in Unternehmen das derzeitige Klima als Katalysator für die Bewertung bewährter Verfahren und Richtlinien zur Vorbereitung von Standorten und Mitarbeitern auf potenzielle zivile Unruhen betrachten sollte.

Laut dem Verisk Maplecroft Civil Unrest Index sind die Risiken für zivile Unruhen allein zwischen dem zweiten und dritten Quartal 2022 in mehr als 50 Prozent der untersuchten Länder gestiegen – von 198 Ländern verzeichneten 101 einen Anstieg des Risikos. Seit 2017 sind weltweit mehr als 400 bedeutende regierungsfeindliche Proteste ausgebrochen.

Es ist daher nicht überraschend, dass „Politische Risiken und Gewalt“ im Allianz Risk Barometer 2023 unter den Top-10 der Risiken rangiert. Zwar ist der Krieg in der Ukraine eine wichtiger Faktor, doch zeigen die Ergebnisse auch, dass die Auswirkungen von Streiks, Aufständen und sozialen Unruhen mit einer Gesamtpunktzahl von fast 70 Prozent als politisches Gewaltrisiko von größter Bedeutung sind.

Unruhen verbreiten sich heute durch soziale Medien schneller und weiter. Solche Ereignisse dauern auch länger – fast ein Viertel der 400 bedeutendsten regierungsfeindlichen Proteste seit 2017 zogen sich länger als drei Monate hin. Die versicherten Schäden für Unternehmen aus nur sechs Ereignissen weltweit zwischen 2018 und 2023 beliefen sich auf mindestens 12 Milliarden US-Dollar.

Fünf Risikofaktoren für zivile Unruhen

In der Studie heben die AGCS-Experten fünf Hauptfaktoren hervor, die Streiks, Aufstände und soziale Unruhen antreiben könnten:

1. Die anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten

Obwohl die Inflation in vielen Ländern ihren Höhepunkt erreicht haben dürfte, fordern die Nachwirkungen weiterhin ihren Tribut. Etwas mehr als die Hälfte der weltweiten Proteste im Jahr 2022 wurden durch wirtschaftliche Probleme ausgelöst, und das öffentliche Vertrauen in die finanzielle Zukunft ist erschüttert. 

Die Hälfte der im Edelman Trust Barometer 2023 befragten Länder verzeichnete im Vergleich zum Vorjahr einen zweistelligen Rückgang der Überzeugung, dass es ihren Familien in fünf Jahren besser gehen wird. Weitere Proteste sind wahrscheinlich, und obwohl sie meist friedlich verlaufen, können sie gewalttätig werden.

2. Misstrauen gegenüber Regierungen

Regierungen, die aus unterschiedlichen Gründen kritisch gesehen werden, können Menschen auf die Straße bringen. Beschwerden über Lebensmittel, Treibstoff, Löhne oder Renten können sich von themenbezogenen Demonstrationen zu breiteren Anti-Regierungsbewegungen ausweiten.

Im Jahr 2022 und Anfang 2023 entzündeten sich Proteste an den Rechten von Frauen und Minderheiten im Iran, an den Kraftstoffpreisen in Kasachstan, an wirtschaftlichen Misserfolgen in Sri Lanka, an Abtreibungsrechten in den USA und an Covid-Beschränkungen in China. In Europa gibt es weiterhin zahlreiche Streiks über Löhne und Arbeitsbedingungen. Die politische Instabilität in Peru, Brasilien und Argentinien hat ebenfalls zu weit verbreiteten, teilweise gewaltsamen Protesten geführt.

3. Zunehmende Polarisierung

Politische Spaltungen schüren weltweit Spannungen, die den sozialen Zusammenhalt untergraben und Konflikte eskalieren lassen. In den letzten Jahren hat es in vielen Ländern einen starken Rechts- oder Linksruck gegeben. Nur wenige liberale Demokratien bewahren ein Gleichgewicht, in dem die politischen Parteien um die Mitte kämpfen.

4. Anstieg von Aktivismus

Die steigende Zahl von Aktivisten und aktivistischen Bewegungen belastet das öffentliche Klima. Zu relevanten Bewegungen gehören die weltweite Occupy-Bewegung gegen wirtschaftliche Ungleichheit, Black-Lives-Matter-Proteste, die auf die Rassenungleichheit hinweisen, die #MeToo-Bewegung gegen sexuellen Missbrauch und Belästigung und die Stop-the-Steal-Kampagne, die fälschlicherweise Wahlbetrug bei der Wahl von US-Präsident Joe Biden behauptete.

5. Klima- und Umweltbedenken

Wenn Regierungen bei Fortschritten im Bereich des Klimawandels zurückrudern, zum Beispie durch die Wiedereröffnung von Kohlebergwerken als Lösung für die Abhängigkeit von russischem Gas, führt dies schnell zu Protesten.

Unternehmen, die übermäßig von fossilen Brennstoffen profitieren, könnten unmittelbar zur Zielscheibe werden. Umweltdemonstranten sorgten 2022 für Schlagzeilen – wie etwa Aktivisten, die Suppe auf ein Van-Gogh-Gemälde schütteten oder sich selbst an Straßen klebten.

„Demonstrationen gegen den Klimawandel sind in der Regel nicht gewalttätig, aber sie können zu Störungen führen, insbesondere wenn sie die Verkehrsinfrastruktur betreffen. Wir erwarten, dass solche Aktivitäten im kommenden Jahr weitergehen, wenn nicht sogar eskalieren werden“, erklärt Todorovic.

Prüfung und Aktualisierung von Kontinuitätsplänen

Unruhen lassen sich nur schwer vorhersagen, da sie häufig mit einem bestimmten Auslöser wie einem Regierungswechsel, einer neuen Gesetzgebung oder einem plötzlichen Preisanstieg beginnen. Es gibt jedoch viele Vorkehrungen, die Unternehmen treffen können, um Störungen und mögliche Schäden zu minimieren.

Allianz Risk Consulting hat eine Liste mit technischen Empfehlungen für Unternehmen erstellt, darunter zum Beispiel die Einführung eines Geschäftskontinuitätsplans, der regelmäßig getestet und aktualisiert werden sollte.

Spezialversicherungen können Unternehmen gegen Sachschäden infolge politischer Gewalt sowie gegen Betriebsunterbrechungen oder auch Umsatzverluste absichern. Die Policen können Bürgerkrieg, verschiedene Ereignisse politischer Gewalt, Terrorismus und Krieg abdecken.