Corona-Pandemie: Erwerbstätige Mütter tragen Hauptlast zusätzlicher Sorgearbeit

Corona-Pandemie: Erwerbstätige Mütter tragen Hauptlast zusätzlicher Sorgearbeit
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Durch die Corona-Pandemie nehmen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern momentan zu, denn Fortschritte bei der Aufteilung von Erwerbs- und unbezahlter Sorgearbeit werden in vielen Familien zumindest zeitweilig zurückgenommen. Das zeigen Ergebnisse einer aktuellen Online-Befragung von Kantar Deutschland im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.

Diese Tendenz ist in Haushalten mit niedrigeren oder mittleren Einkommen stärker ausgeprägt als bei höheren Einkommen, auch weil Personen mit höheren Einkommen generell während der Pandemie seltener ihre Erwerbsarbeit einschränken müssen.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, warnt:

„Die Pandemie legt nicht nur problematische Ungleichheiten in den wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten offen, sie verschärft sie oft noch.“

Neben Beschäftigten mit niedrigeren Einkommen, in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat seien Frauen derzeit überproportional belastet.

Erwerbstätige mit Kindern unter 14 Jahren erleben generell ihre Lage angesichts der Pandemie noch deutlich häufiger als belastend: 48 Prozent der Eltern in Paarbeziehungen bewerten ihre Gesamtsituation als „äußerst“ oder „sehr belastend“. Unter den Alleinerziehenden sind es  knapp 52 Prozent – gegenüber knapp 39 Prozent unter den Befragten ohne Kinder bis maximal 14 Jahre.

Mütter tragen Hauptlast

Wenn Eltern in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen einspringen müssen, tragen Mütter die Hauptlast: Der Auswertung zufolge haben in Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten.

Bei Haushalten mit geringerem oder mittlerem Einkommen fällt die Diskrepanz größer aus (rund 12 beziehungsweise 14 Prozentpunkte).

Das spreche dafür, dass finanzielle Überlegungen bei der Entscheidung, wer von den Eltern Arbeitszeit reduziert, eine wesentliche Rolle spielen, so Bettina Kohlrausch und Aline Zucco. Familien mit wenig Geld könnten es sich häufig nicht leisten, auf das – meist höhere – Gehalt des Mannes zu verzichten.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch dazu:

„Paare, die sich so verhalten, handeln individuell unter dem Druck der Krisensituation kurzfristig oft rational. Sie sehen ja derzeit keine Alternative.“

Die Forscherinnen warnen aber vor langfristigen Gefahren für die Erwerbsverläufe von Frauen. Da die ökonomischen Folgen der Krise noch länger spürbar sein werden, könnte eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit unter Umständen nicht möglich sein.

Somit drohten auf längere Sicht drastische Folgen für das Erwerbseinkommen von Frauen: Die bestehende Lohnlücke zwischen den Geschlechtern dürfte sich dann durch die Coronakrise noch weiter vergrößern.

Eltern mit geringerem Einkommen stärker betroffen

Eltern mit geringerem Einkommen sind der Datenlage zufolge von der Krise noch stärker betroffen, denn sie müssen ihre Arbeitszeit häufiger reduzieren, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Dies liegt laut den Forscherinnen daran, dass Geringverdienende seltener die Gelegenheit haben dürften, im Homeoffice zu arbeiten.

Und auch ist bei Beschäftigten mit kleineren oder mittleren Einkommen Kurzarbeit häufiger (zum Beispiel gut 17 Prozent in Kurzarbeit bei Befragten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1.300 Euro) als bei jenen, die relativ viel verdienen (knapp zehn Prozent bei einem Haushaltsnetto von mindestens 4.500 Euro Prozent).

Damit müssten insbesondere jene Haushalte finanzielle Einbußen hinnehmen, die davor schon am unteren Ende der Einkommensverteilung lagen. Das heißt: Die Ausfälle von Schulen und Kitas könnten bestehende Einkommensungleichheiten weiter verstärken.

Derzeit Rückkehr zu traditioneller Arbeitsteilung

Bei der Arbeitsteilung innerhalb von Partnerschaften komme es oft tendenziell zu einer „Retraditionalisierung“, stellen Bettina Kohlrausch und Aline Zucco fest.

Auch wenn sich die Angaben von Männern und Frauen geringfügig unterscheiden, werde deutlich, dass die zusätzlich anfallende Sorgearbeit auch in Familien mit einer vormals gleichberechtigten Verteilung unbezahlter Arbeit nun vor allem die Frauen übernehmen.

Nur rund 60 Prozent derjenigen Paare mit Kindern unter 14 Jahren, die sich die Sorgearbeit vor der Coronakrise fair geteilt haben, tun dies auch während der Krise. Bei den übrigen übernehmen in knapp 30 Prozent der Fälle die Frauen und in gut 10 Prozent der Fälle die Männer den Hauptteil der Sorgearbeit.

Bei Paaren mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 2.000 Euro und zuvor ausgeglichener Arbeitsteilung praktizieren aktuell sogar nur 48 Prozent weiterhin dieses Modell. Das zeige, dass Eltern, die finanziell stark unter Druck stehen, weniger Spielräume für eine faire Arbeitsteilung bleiben.

Aufstockung bei Kurzarbeit wichtig

Dieser Befund sei auch insofern besorgniserregend, als viele Beschäftigte ihre finanzielle Situation zurzeit als prekär wahrnehmen, erklären die WSI-Forscherinnen. Das gelte insbesondere bei Kurzarbeit, die zwar Beschäftigung sichert aber für die Betroffenen oft mit harten finanziellen Einbußen verbunden ist. Unabhängig von ihrer aktuellen Arbeitssituation schätzen etwa 32 Prozent aller Befragten, bei Kurzarbeit Null mit dem zum Zeitpunkt der Befragung gesetzlich vorgesehenen Kurzarbeitergeld von maximal 67 Prozent ohne Aufstockung höchstens drei Monate auskommen zu können.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch sagt:

„Das zeigt, dass die von der Bundesregierung beschlossene Aufstockung des Kurzarbeitergeldes bei längerem Bezug ein Fortschritt ist. Allerdings ist fraglich, ob dieser Schritt insbesondere im Niedriglohnbereich ausreicht.“

Besser stünden Beschäftigte da, deren Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocken, so Bettina Kohlrausch und Aline Zucco. Hier hätten Tarifbeschäftigte einen klaren Vorteil: Befragte, die in einem tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, erhalten zu 45 Prozent eine Aufstockung, die übrigen Befragten nur zu 19 Prozent.

Auch hier beobachten die Forscherinnen Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen (28 Prozent) erhalten seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes als Männer (36 Prozent). Ein möglicher Faktor dabei: Frauen arbeiten häufiger in kleinen Betrieben und werden seltener nach Tarif bezahlt als Männer.

Fazit

Die Sozialwissenschaftlerinnen halten fest, dass die zusätzlich anfallende Sorgearbeit durch die Schließung von Kitas und Schulen Familien enorm unter Druck setzt und dabei Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verfestigen kann.

Um dem entgegenzuwirken, brauche es zumindest für die unteren Einkommensgruppen mehr finanzielle Unterstützung, wenn wegen Kinderbetreuung Arbeitszeit reduziert werden muss, und eine generelle Entlastung bei der Sorgearbeit.

Deshalb sollte aus Sicht der Familien – insbesondere der Kinder und der Frauen – eine schrittweise Öffnung der Kitas Priorität haben. Zudem gelte es, die Möglichkeiten für digitalen Unterricht auszubauen, wozu gehöre, auch ärmere Haushalte mit der nötigen Technik auszustatten, und über innovative Betreuungsmodelle nachzudenken.

Zur Studie: Bettina Kohlrausch, Aline Zucco: Corona trifft Frauen doppelt – weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit, WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020