Die Grundfähigkeitenversicherung und die Frage nach der Mobilität

Grundfähigkeitenversicherungen und die Frage nach Mobilität
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Der Führerschein mit 18, das erste eigene Auto, manchmal auch eine alte Rostlaube, vermittelte noch bis zur Jahrtausendwende ein unwahrscheinlich gutes Gefühl von Freiheit und persönlicher Unabhängigkeit. Heute, 20 Jahre später, werden die Karten neu gemischt – auch aufgrund deutlich veränderter Rahmen- und Lebensbedingungen.

Die Anschaffungs- und Unterhaltskosten für einen Pkw sind deutlich gestiegen und Parkplätze in den Ballungszentren rar. Carsharing-Konzepte werden gut angenommen und Großstädte verfolgen immer mehr das Ziel, umweltbewusst zu handeln und ihre Stadtzentren autofrei zu gestalten. Die veränderte Alltagsmobilität führt dazu, Verkehrskonzepte neu zu denken.

Der Ausbau von Fahrradwegen in den Städten und der Bau von Fahrradautobahnen nach dem Vorbild unserer niederländischen Nachbarn für schnelle Verbindungen in den Ballungsräumen werden forciert. So lobte beispielsweise das Land Niedersachsen ein Sonderprogramm Radschnellwege mit einem Budget von 12,4 Millionen Euro aus und das Land Berlin hat ein Radschnellwegenetz in seinem Berliner Mobilitätsgesetz rechtswirksam verankert.

Für die Generation Z spielen der Führerschein und das eigene Auto eine untergeordnete Rolle, es sei denn, man lebt auf dem Land und ist darauf angewiesen. In den Ballungszentren ist jedoch das Fahrrad, E-Bike oder auch das Lastenrad immer mehr das bevorzugte Verkehrsmittel. Umwelt- und Klimabewusstsein wird für viele immer wichtiger und erfährt durch den Appell der jungen Greta Thunberg eine neue Dimension.

Eine verbesserte Infrastruktur des öffentlichen Personennahverkehrs trägt zusätzlich dazu bei, dass eine Fahrerlaubnis für einen Pkw erst in späteren Jahren beantragt wird. Auch für größere Entfernungen entscheiden sich immer mehr Menschen für den Zug. Während im Jahr 2014 noch 129 Millionen Fahrgäste im öffentlichen Personenfernverkehr gezählt wurden, bezifferte die Deutsche Bahn die Fahrgastzahlen des Fernverkehrs für 2018 auf 148 Millionen Reisende. Das entspricht einem Zuwachs von 14,7 Prozent in nur fünf Jahren.

Trotzdem ein Muss: das versicherte Risiko Verlust der Fahrerlaubnis Pkw

Trotz dieser Entwicklung ist das wichtigste abgesicherte Risiko einer Grundfähigkeitenversicherung der Verlust der Fahrerlaubnis Pkw, und zwar aus medizinischen Gründen. Diese Aussage ist keinesfalls der Autofahrernation Deutschland geschuldet. Vielmehr geht es darum, dass mit der Aufnahme dieses Risikos in den Katalog der versicherten Grundfähigkeiten die Schwelle zu einem leistungspflichtigen Versicherungsfall deutlich abgesenkt werden kann. Warum ist das so? Zwingende Voraussetzung ist jedoch eine verbraucherfreundliche Regelung für die Begründung eines leistungspflichtigen Versicherungsfalls in den AVB.

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Zum Beispiel kann ein schwerer Herzinfarkt, ein Schlaganfall mit neurologischen Ausfallerscheinungen oder eine eingeschränkte Sehkraft die Einbuße der Fahrerlaubnis Pkw zur Folge haben. Interessanterweise werden hierfür viele Leistungsvoraussetzungen nicht von Versicherern, sondern vom Gesetzgeber in der Fahrerlaubnisverordnung definiert. Beispielsweise begründet eine um mehr als 50 Prozent reduzierte Sehkraft einen Verlust der Fahrerlaubnis Pkw, während nach den Leistungsvoraussetzungen für die versicherte Grundfähigkeit Sehen erst eine Einbuße der Sehkraft um mindestens 95 Prozent den Anspruch auf eine Auszahlung der vertraglich vereinbarten Grundfähigkeitenrente sichert.

Selbst wenn dem Verlust der Fahrerlaubnis Pkw unstrittig eine hohe Bedeutung bei der Absicherung von Grundfähigkeiten zukommt, läuft dieses Argument bei versicherten Personen ohne einer Fahrerlaubnis Pkw, dennoch ins Leere. Eine Gleichstellung mit den Inhabern einer gültigen Fahrerlaubnis Pkw kann jedoch erreicht werden, wenn auch mit der Nichterteilung einer Fahrerlaubnis Pkw aus medizinischen Gründen ein leistungspflichtiger Versicherungsfall begründet werden kann.

Versicherte Risiken Nutzung des ÖPNV und ÖPFV

Die zunehmende Nutzung der alternativen Verkehrsmittel sollte Teil eines modernen Versicherungskonzepts zur Absicherung von Grundfähigkeiten sein. Wird die Fähigkeit, den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr zu nutzen, in den Katalog der versicherten Risiken aufgenommen, wird diese Leistung an die Nutzer der alternativen Verkehrsmittel adressiert und das Leistungskonzept des Tarifs signifikant aufgewertet. Mit Blick auf den Alltag wird sehr schnell deutlich, dass für die Nutzung einer Straßen-, S- oder U-Bahn, für die Fahrt in einem Omnibus oder auch in einem ICE ein Zusammenspiel mehrerer Grundfähigkeiten erforderlich ist.

Kann eine versicherte Person die Leistungsvoraussetzungen beispielsweise für einen bedingungsgemäßen Verlust der Grundfähigkeiten Gehen, Treppensteigen, Sitzen, Stehen oder Gebrauch der Arme nicht erfüllen, senken die versicherten Risiken Nutzung des ÖPNV beziehungsweise ÖPFV die Schwelle für die Leistungsbegründung deutlich ab. Wichtig ist jedoch auch, dass die Rahmenbedingungen für die Leistungsprüfung transparent geregelt sind. Während die Gültigkeitsdauer eines Fahrscheins für die Nutzung von Bus, Straßen-, S- oder U-Bahn regelmäßig mit 90 Minuten festgeschrieben wird, könnte für eine Fahrt mit dem ICE auch die Strecke von München nach Flensburg aufgerufen werden.  Deshalb ist es sinnvoll, auch die maximale Fahrzeit auf einer Fernstrecke im Bedingungswerk zu hinterlegen und damit eindeutige Merkmale für eine geregelte Leistungsprüfung zu schaffen.

Berufsunfähigkeits- und/oder Grundfähigkeitenversicherung?

Die Gretchenfrage, welches Vorsorgeinstrument für eine Absicherung der Arbeitskraft eines Kunden eingesetzt werden soll, wird sehr engagiert diskutiert. Tatsache ist, dass sich sowohl die Berufsunfähigkeits- als auch die Grundfähigkeitenversicherung wichtige Alleinstellungsmerkmale sichern. So wird das Risiko einer psychischen Erkrankung mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung umfassend abgesichert. Doch es sollte nicht übersehen werden, dass die Lebensversicherer im Fall der Berufsunfähigkeitsversicherung die Joker konkrete Verweisung und Umorganisation ziehen können. Nachdem bei der Grundfähigkeitenversicherung ein Fähigkeits- und  nicht ein Tätigkeitsverlust versichert wird, bleibt die berufliche Leistungsfähigkeit der versicherten Person im Versicherungsfall vollkommen unberücksichtigt – ein Vorteil vor allem für selbstständig tätige Personen. Die Frage Berufsunfähigkeits- oder Grundfähigkeitenversicherung entscheidet der Kunde, nicht der Vermittler. Vermittler, die im Beratungsgespräch beide Vorsorgealternativen vorstellen und die unterschiedlichen Konzeptgedanken erläutern, punkten mit ihrer Expertise. Die Gretchenfrage ist dabei nicht zwingend eine Entweder-oder-Entscheidung. Die Antwort kann auch die Verknüpfung der beiden Vorsorgealternativen sein.

Ein Beitrag von Alexander Schrehardt, Geschäftsführer von AssekuranZoom und Consilium Beratungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung mbH

Bilder: (1) © S Amelie Walter – stock.adobe.com (2) © AssekuranZoom GbR

 

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