Gute Manieren im Umgang mit anderen Menschen lernt man in aller Regel bereits in der Kindheit. Daran haben auch die antiautoritären Erziehungsbestrebungen der 68er-Generation letztendlich nichts ändern können. Sind gute Manieren also ein soziokulturelles Ergebnis, das durch nichts zu erschüttern ist? Schön wäre es.
Die letzten Hürden des Anstandes
Was die antiautoritären Erziehungsmethoden nicht geschafft haben, scheint der Digitalisierung unserer Gesellschaft mit Leichtigkeit zu gelingen.
Zu keinem Zeitpunkt in unserer Geschichte war das soziale Miteinander auf einem so desaströsen Niveau wie heute, zu keinem Zeitpunkt war der Ton rauer, der Umgang miteinander respektloser.
Beflügelt durch die Anonymität der sozialen Netze und Plattformen fallen im gesellschaftlichen und im wirtschaftlichen Umfeld die letzten Hürden des Anstandes und der Höflichkeit. Davor ist auch der Personalmarkt nicht gefeit.
Den Rubikon überschritten
Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Daher verwundert es auch niemanden mehr, wenn Personalverantwortliche und Personalberater bei Zeugnissen schon mal ein Auge zudrücken.Aber wenn schlechte Manieren und Respektlosigkeit zur Normalität werden, ist der Rubikon überschritten.
Orthografie und Interpunktion bleiben öfter auf der Strecke
Unprofessionelles und unhöfliches Verhalten hat sich seit der Digitalisierung und dem daraus entstandenen E-Recruiting großflächig auch im Personalmarkt breitgemacht. Gerade auf Jobportalen, in beruflichen Netzwerken und im Rahmen des E-Recruitings sind mittlerweile Verhaltensweisen an der Tagesordnung, die nichts mehr mit einer respektvollen Kommunikation zu tun haben.
Auf Nachrichten wird einfach überhaupt nicht mehr geantwortet. Und wenn man eine Antwort bekommt, kann man noch froh über einen saloppen Stil sein. Leider scheinen dabei Orthografie und Interpunktion bisweilen Opfer eines partiellen Gedächtnisschwundes geworden zu sein. Zudem weicht in der IT- und Software-Branche die respektvolle Anrede auch schon einmal dem „hippen“, vertraulichen Du.
Respektvolle Kommunikation nicht mehr vonnöten
Heute kann ein Personalberater froh sein, wenn 20 Prozent der angeschriebenen Kandidaten überhaupt antworten. Selbst auf ausgewiesenen Jobportalen, wo man noch eher von einer manierlichen Antwortkultur ausgehen müsste, muss man mittlerweile damit rechnen, überhaupt keine Antwort mehr auf eine Anfrage zu bekommen. Generell lässt sich in den vergangenen Jahren feststellen, dass in der Halbanonymität der digitalen (Job-)Plattformen offenbar ein angemessenes, respektvolles Kommunikationsverhalten nicht mehr vonnöten ist.
Einerseits wird diese Einstellung auch von den unzähligen Personalvermittlern befördert, deren lustlose Einheitsanschreiben beim Kandidaten nicht unbedingt das Gefühl einer zumindest minimalen Wertschätzung auslösen. Gerade in der IT-Branche werden Kandidaten oftmals überhäuft mit einer Vielzahl qualitativ fragwürdiger Anfragen. Andererseits führt der Paradigmenwechsel im Personalmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt bei dem einen oder anderen Kandidaten zu einer gewissen Arroganz und Überheblichkeit, die sich in mangelnden Manieren und fehlender Höflichkeit manifestieren. Nach dem Motto: Ich habe es nicht nötig, auf das Anschreiben zu reagieren, oder das ist unter meinem Niveau.
Despektierliches Verhalten als Ausdruck des Zeitgeistes
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich der Personalberatungsmarkt verändert hat. Die Not der Unternehmen, geeignete Fach- und Führungskräfte zu rekrutieren, wird immer größer. In einigen Branchen wie der Informationstechnologie beispielsweise lassen sich Funktionen im fünfstelligen Gehaltsbereich nicht oder kaum noch besetzen. Aber muss man deshalb ein derartiges despektierliches Verhalten als Ausdruck des Zeitgeistes einfach hinnehmen? Mitnichten!
Gute Manieren befördern Karrieren
Benehmen, Höflichkeit und Taktgefühl haben bis heute ihren Wert als persönliche Wettbewerbsfaktoren nicht verloren. Studien belegen, dass Menschen mit guten Manieren und Umgangsformen erfolgreicher Karriere machen. Das beginnt beim Bewerbungsgespräch und hört beim Geschäftsessen oder dem Kundengespräch auf.
Frech kommt nicht immer weiter
Aber was kann man tun? Als Erstes sollten Unternehmen und Personalberater mit gutem Beispiel vorangehen und sich nicht von einem sozial grenzwertigen Verhalten anstecken lassen. Höflichkeit und Anstand – in gesprochener und geschriebener Form – sind nicht nur die Grundpfeiler unseres sozialen Zusammenlebens. Sie sind nach wie vor auch der Treibstoff für den beruflichen Erfolg. Frech kommt letztendlich nicht weiter, wie uns eine Werbung aus den 80er-Jahren einreden wollte.
Kontinuierliche Selbstreflexion
Als sich reflektierender Berater sollte man sich ständig hinterfragen: War das Anschreiben nicht adressatenorientiert genug? Wurden die Kandidaten vielleicht zu oft angesprochen oder angeschrieben? Entspricht die Ansprache noch den qualitativen Anforderungen das eigene Selbstverständnis? Die kontinuierliche Selbstreflexion verhindert, vom Strom eines vermeintlichen Zeitgeistes mitgerissen zu werden. Es liegt im eigenen Interesse eines professionellen Personalberaters, im Rahmen des gesamten Recruiting-Prozesses und der gesamten „Candidate Journey“ die sozialen Spielregeln einzuhalten, vorzuleben und vorzugeben.
Aktiv vorgelebtes Verhalten
Aus der Sozialpsychologie wissen wir, dass das Vorleben von Verhalten ansteckend sein kann. Schuld daran sind die sogenannten „Spiegelneuronen“. Jemand lächelt uns an und wir lächeln unwillkürlich zurück. Mit anderen Worten: Menschen passen ihr Verhalten einem aktiv vorgelebten Verhalten an. Es kommt also auch auf den Personalberater beziehungsweise Coach, auf sein stilvolles Verhalten, seine Freundlichkeit und seine Überzeugungskraft an, wie viele Kandidaten er für das Unternehmen gewinnen kann und wie es um die sozialen Qualitäten der Kandidaten bestellt ist. So gesehen besteht durchaus noch Hoffnung, dass die Phase des mangelnden Anstands und der Respektlosigkeit überwunden werden kann, wenn sich Unternehmer und Personalberater ihrer guten Erziehung bewusst und treu bleiben.
Professionelle Kommunikation als Wertschätzung
Im Umgang mit Kandidaten muss es Unternehmen und Personalberatern neben der professionellen Kommunikation auch um Verlässlichkeit und Wertschätzung gehen. Employer-Branding ist mehr als nur eine schicke Internetseite und herausstechende Argumente für den Arbeitgeber. Es geht auch um eine transparente und professionelle Kommunikation mit den Kandidaten. Und das bedeutet wiederum, dass es nicht angehen kann, dass ein Kandidat im Laufe des Bewerbungsprozesses keinerlei Rückmeldung erhält, um nur ein Beispiel zu nennen.
Sei es bei der Ansprache eines Kandidaten, beim Vorstellungsgespräch, beim Geschäftsessen oder bei Verhandlungen – gutes Benehmen öffnet Tür und Tor, denn das Gegenüber fühlt sich respektiert und geachtet.
Autorin: Christine Webers, Management Consultant, SELECTEAM Deutschland GmbH
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