Wie Versicherungen strittige Millionen-Claims richtig verhandeln

It all comes down to this. Shot of a businessman looking anxious in front of his laptop at work.It all comes down to this. Shot of a businessman looking anxious in front of his laptop at work.Cecilie S W/peopleimages.com – stock.adobe.com

Die standardmäßige Abwicklung von Schadensfällen ist für Versicherungen Routine. Aber bei außergewöhnlichen, komplexen Fällen mit immenser Schadenshöhe fehlt es teilweise an Verhandlungsexpertise. Was Vorstände tun können.

Yurda-Burghardt-2024-NAGYurda-Burghardt-2024-NAGYurda Burghardt, Partnerin, Negotiation Advisory Group GmbHNegotiation Advisory Group GmbH

Dieser spektakuläre Fall wird vor Gericht in Stuttgart verhandelt, wo der Sportwagenbauer Porsche seinen Sitz hat. Zu den Klägern gehören die Mitsui O.S.K. Lines, Ltd., und die Versicherung Allianz SE. Hintergrund ist der 2022 vor den Azoren gesunkene Autofrachter Felicity Ace mit 3965 Fahrzeugen des VW-Konzerns an Bord, nachdem an Bord Feuer ausgebrochen war. Verursacht hat das Feuer angeblich die Lithium-Ionen-Batterie eines Porsche Taycan, die sich entzündet hatte. Experten schätzen allein den Schaden für VW auf rund 150 Millionen Euro. Dazu kommen rund 30 Millionen Euro durch den Verlust des Schiffes für den Schiffseigner.

Strittige Schuldfrage

Doch wer wird diesen Millionenschaden am Ende bezahlen? Die Assekuranzen, bei denen der Autobauer und das Schiff versichert waren? Oder der angebliche Brandverursacher Porsche? VW, der Mutterkonzern des Sportwagenbauers, hat darauf eine klare Antwort: die Versicherung. Doch das sehen die Stuttgarter Kläger anders. Sie werfen dem Autobauer fahrlässiges Verhalten vor, der japanische Schiffseigner der Felicity Ace klagt, VW beziehungsweise Porsche habe nicht auf die Notwendigkeit besonderer Vorsichtsmaßnahmen beim Transport der Elektrofahrzeuge aufmerksam gemacht.

Folgt das Gericht dieser Argumentation, ist die Versicherung aus dem Schneider. Aktuell ruht das Verfahren, die Parteien führen Verhandlungen, um zu einer außergerichtlichen Einigung zu kommen. Offenbar ist sich keine Partei absolut sicher, den Streit vor Gericht zu gewinnen.

Topmanagement der Versicherungen gefordert

Zwar ist die standardmäßige Abwicklung von „normalen“ Schadensfällen für Versicherungen Routine, doch bei außergewöhnlichen Fällen fehlt es den Topmanagern meist an Verhandlungsexpertise. Für sie sind solche High-Stakes-Verhandlungen eine Ausnahmesituation. Denn ein Unternehmen zu leiten, verlangt andere Qualifikationen als das Führen solcher Verhandlungen, die aufgrund der auf dem Spiel stehenden Summen emotional besonders aufgeladen sind.

Durch den oft vorhandenen Zeitdruck und die mangelnde Erfahrung mit vergleichbaren Situationen geraten die damit befassten Topmanager unter Druck. Die Folge: ein hohes Maß an Unsicherheit und Emotion. Die Angst, etwas falsch zu machen und verantwortlich zu sein, wenn die Verhandlungen scheitern, führt häufig dazu, nach Bauchgefühl zu entscheiden und vorschnell nachzugeben. Das macht solche Verhandlungen besonders fehleranfällig und kostet schnell Abermillionen Euro.

Was High-Stakes-Verhandlungen ausmacht

Eine der längsten Auseinandersetzungen dieser Art war die zwischen einem US-Pharmariesen und einem Konsortium amerikanischer und europäischer Versicherungen. Nach einem Cyberangriff 2017 hatte der Pharmakonzern einen Schaden durch Produktionsausfälle und Ersatz für seine IT in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar gegenüber den Versicherungen geltend gemacht. Da der Fall im Versicherungsvertrag nicht eindeutig geregelt war, weigerten sich die Versicherungen zu zahlen. Der Fall ging in den USA vors Gericht.

Aber parallel verhandelten Unternehmen und Versicherungen – anfangs gemeinsam und später einzeln – weiter, um zu einer außergerichtlichen Einigung zu kommen. Denn keine Seite war sich sicher, wie das Gericht letztlich urteilen würde. Ein typischer Fall von High-Stakes-Verhandlungen. Die Elemente: ein hoher Claim gegen die Versicherung, sodass das Topmanagement selbst mit dem Thema befasst ist; große rechtliche Unsicherheit und deshalb der Versuch, sich außergerichtlich durch bilaterale Verhandlungen zu einigen; und hohe Komplexität durch die Vielzahl der Beteiligten, deren jeweilige Interessen und unterschiedliche Informationsstände.

Systematisches Vorgehen erforderlich

Notwendig war hier vor allem systematisches, strukturiertes Vorgehen. Zunächst galt es, sich ein objektives Bild zu machen, um die eigene Verhandlungsposition einschätzen und koordiniert vorgehen zu können. Dazu musste Transparenz hergestellt werden zwischen den Informationsständen der unterschiedlichen Beteiligten, um die Lage realistisch einzuschätzen. Denn mit dem Fall befasst waren viele Player: das US-Büro und die Zentrale der Versicherung in Deutschland, dazu ihre Underwriting- und Claims-Abteilungen sowie ein großer amerikanischer Versicherungsmakler.

Basierend auf dieser Situationsanalyse wurde die Strategie erarbeitet: Verhandlungsziele (Mindestziel und Ankerforderung) sowie Handlungsoptionen und mögliche Angriffspunkte. Für das taktische Vorgehen wurden die Rollen und Verantwortlichkeiten für die Verhandlungen verteilt und das Verhandlungsteam mental auf die Auseinandersetzung vorbereitet, um den Druck aushalten zu können und nicht vorschnell nachzugeben. In einem Verhandlungsdrehbuch wurde detailliert das Vorgehen für mehrere Szenarien beschrieben inklusive möglicher Hebel, um bei Bedarf Eskalationsschritte einzuleiten und die Gegenseite unter Druck zu setzen. Ziele und Verhandlungsdrehbuch wurden in Form von Leitplanken vom Management freigegeben, das selbst nicht an der Verhandlung aktiv teilnahm.

Bei der Entwicklung der Verhandlungshebel und -strategie war es fundamental wichtig, die Interessen und Ziele der unterschiedlichen involvierten Stakeholder zu analysieren und besser zu verstehen. Gleichzeitig wurden mögliche Eskalationsschritte und eine entsprechende klare „Storyline“ erarbeitet. Mit dieser fundierten Vorbereitung gelang es recht zügig, ein für beide Seiten zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Ende vergangenen Jahres wurde die Claim-Verhandlung mit einem sehr guten Ergebnis abgeschlossen.

Fazit: Als entscheidend hat sich das systematische, koordinierte und konsequente Vorgehen erwiesen – mit einem klaren und intern abgestimmten Verhandlungsziel und einer transparenten und plausiblen externen Kommunikation.

Über die Autorin

Yurda Burghardt ist Partnerin der Negotiation Advisory Group (NAG), der führenden Verhandlungsberatung in Europa. Zuvor war die Diplom-Betriebswirtin Geschäftsführerin bei einer renommierten Beratungsgesellschaft. Ihr Spezialgebiet ist das Verhandeln von komplexen, schwierigen und strategisch wichtigen Verträgen.

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