Sichert der BU-Relaunch der Gothaer einen tariflichen Mehrwert?

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Der Markt für Berufsunfähigkeitsversicherungen ist ein sehr umkämpftes Geschäftsfeld. Führende Versicherer liefern sich unter den Argusaugen der Rating-Agenturen seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen, was von den regelmäßig durchgeführten Tarifvergleichen dokumentiert wird. Eine Meldung über die Vorstellung eines überarbeiteten BU-Tarifs ist vielen Vermittlern deshalb nur noch einen Seitenblick wert. Tatsache ist, dass sich die BU-Tarife namhafter Anbieter in den letzten 20 Jahren inhaltlich so weit angenähert haben, dass oftmals kein Blatt Papier mehr zwischen die Versicherungsbedingungen passt. Ein Blick in den überarbeiteten Premiumtarif der Gothaer Lebensversicherung fördert allerdings Interessantes zutage.

Ein Beitrag von Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR © AssekuranZoom GbR

Die Qualität eines Lebensversicherers und der von ihm angebotenen Tarife beweist sich im Versicherungsfall. Nachdem der Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beim Versicherer eingereicht wurde, tickt die Uhr und der Kunde wartet auf eine Anerkennung der Leistungspflicht durch
den Versicherer.

Der Zeitraum bis zur abschließenden Bearbeitung eines Leistungsantrags kann teilweise durch den Kunden und mithilfe des Vermittlers abgekürzt werden. So sollte der Fragebogen des Vermittlers im Detail bearbeitet und mit aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, Nachweisen zur Einkommenssituation vor Eintritt der Berufsunfähigkeit, Angaben zum beruflichen Werdegang sowie Dokumenten über die berufliche Ausbildung und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen eingereicht werden.

Allerdings ist für eine abschließende Entscheidung der Leistungsabteilung oftmals ein fachärztliches Gutachten erforderlich, was den Prozess der Leistungsbearbeitung zumeist deutlich verlängert. So erhält die versicherte Person unter Umständen erst nach zwei oder drei Monaten einen Termin für die ärztliche Begutachtung und bis zur Vorlage des vom Versicherer beauftragten Gutachtens verstreichen oftmals weitere zwei Monate. In dieser Zeit sitzt der Kunde auf dem Trockenen und die fehlenden Einkünfte führen nicht wenige Versicherte in finanzielle Nöte.

Professionell agierende Gesellschaften räumen dem Versicherten in einer derartigen Situation unter Umständen eine Überbrückungsleistung ein. Diese Zahlungen erfolgen allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und zumeist unter dem Vorbehalt der Rückforderung, sofern eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen werden kann.

Garantierter Anspruch auf Überbrückungsgeld

Mit ihrem Tarifrelaunch hat die Gothaer Lebensversicherung das Thema Überbrückungsgeld rechtsverbindlich in § 8 Abs. IV Nr. 3 im Tarif SBU Premium mit AU sowie in § 7 IV (3) im Tarif SBU Premium ohne AU beziehungsweise in § 8 III (3) im Tarif SBU Invest ihrer Versicherungsbedingungen für die selbstständige BU-Versicherung geklärt. Sofern die Gothaer Lebensversicherung ein ärztliches Gutachten in Auftrag gibt, hat der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Überbrückungsgeld in Höhe der versicherten Berufsunfähigkeitsrente bis zum Ablauf des Monats, in dem der Versicherer über seine Leistungspflicht entschieden hat.

Das Überbrückungsgeld wird maximal für einen Zeitraum von fünf Monaten gewährt. Erkennt die Gothaer Lebensversicherung ihre Leistungspflicht an, so wird das ausbezahlte Überbrückungsgeld mit der Berufsunfähigkeitsrente verrechnet. Für den Fall, dass das medizinische Gutachten die Leistungspflicht des Versicherers nicht bestätigt, schließt die Gothaer einen Rückforderungsanspruch in ihren Versicherungsbedingungen explizit aus.

Ein Anspruch auf Überbrückungsgeld besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund einer Krebserkrankung oder einer Leistung wegen Krankschreibung bereits eine Leistungszahlung erhält. Mit dem in den AVB garantierten Anspruch auf Überbrückungsgeld sichert sich die Gothaer im Wettbewerbsvergleich ein tarifliches Alleinstellungsmerkmal.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

Die COVID-19-Pandemie hatte die deutschen Unternehmen und die Verbraucher in den Jahren 2020 und 2021 fest im Griff. Vor allem für Beschäftigte der Gastronomie, aber auch für Friseure oder zum Beispiel Sportstudios bedeuteten die von den Behörden im Interesse einer Eindämmung der Virusinfektionen über Monate hinweg angeordneten Betriebsschließungen große bis unlösbare Herausforderungen.

Nach den AVB führender Lebensversicherer begründet auch ein nach § 31 Infektionsschutzgesetz für mindestens sechs Monate ausgesprochenes berufliches Tätigkeitsverbot einen Anspruch auf die versicherte Berufsunfähigkeitsrente.

Viele Versicherte, die sich in den Pandemiejahren eine Leistungszahlung aufgrund eines beruflichen Tätigkeitsverbots erhofften, mussten allerdings feststellen, dass mit einer behördlichen Allgemeinverfügung die Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt werden. Vor allem die Vertragsinhaber von Betriebsschließungsversicherungen mussten ihre Forderungen auf dem Rechtsweg geltend machen und nicht in allen Fällen wurde zugunsten der Versicherungsnehmer entschieden.

Die Gothaer Lebensversicherung hat aus der Pandemie ihre Lehren gezogen und auch den Leistungsauslöser Infektionsrisiko neu geregelt. Nach den aktuellen AVB besteht ein Anspruch auf Zahlung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente, wenn:

  • das berufliche Tätigkeitsverbot sich auf mindestens 50 Prozent der zuletzt ausgeübten Tätigkeit der versicherten Person bezieht,
  • eine das Tätigkeitsverbot anordnende behördliche Verfügung vorliegt, die auf gesetzlichen Vorschriften
  • oder einer behördlichen Anordnung beruht, und das Tätigkeitsverbot eine Dauer von mindestens sechs Monaten umfasst.

Für die Berufe des Heilwesens hat der Versicherer die Leistungsvoraussetzungen weiter verschlankt. Sofern sich das Tätigkeitsverbot auf die Behandlung, Versorgung oder Betreuung von Patienten bezieht, erkennt die Gothaer Lebensversicherung ohne weitere Prüfung ihre Leistungspflicht an, wenn die versicherte Person einen der folgenden Berufe ausübt:

  • Human- oder Zahnmediziner
  • Studierende der Human- und Zahnmedizin
  • medizinisch behandelnde oder pflegerische Berufe mit Patientenkontakt, wie zum Beispiel Krankenschwestern und Krankenpfleger, Altenpfleger*innen, Hebammen und Entbindungspfleger, Arzthelfer*innen

Arbeitsunfähigkeit vor Berufsunfähigkeit

Jeder Berufsunfähigkeit geht regelmäßig eine zumeist längere Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person voraus. In den letzten Jahren haben daher zunehmend mehr Lebensversicherer ihre BU-Versicherung um eine (optionale) „Gelbe-Schein-Klausel“ ergänzt, die eine Leistungszahlung im Fall einer mindestens sechsmonatigen Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person sichert.

Bei der Konzeption der AVB konkurrieren führende Gesellschaften bei der kundenfreundlichen Ausgestaltung der Leistungsvoraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rentenzahlung im Fall der Arbeitsunfähigkeit. So räumen Premiumversicherer nicht nur einen retrospektiven, sondern auch einen prognostischen Nachweis der leistungsbegründenden Arbeitsunfähigkeit ein.

Nach den neuen AVB der Gothaer kann ein Leistungsanspruch bereits nach einer viermonatigen Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person begründet werden, wenn ein behandelnder Arzt eine fortlaufende Krankschreibung für mindestens zwei weitere Monate testiert. Der Leistungsanspruch ist dabei für den einzelnen Versicherungsfall wie auch für alle während der Versicherungsdauer mit einer Arbeitsunfähigkeit der Versicherten begründeten Versicherungsfälle auf 36 Monate begrenzt.

Bekanntlich steckt der Teufel allerdings im Detail und so müssen Gelbe-Schein-Klauseln sehr genau geprüft werden. Dabei sollte der Vermittler folgende Punkte kritisch hinterfragen:

  • Wie definiert der Versicherer eine leistungspflichtige Arbeitsunfähigkeit?
  • Muss die leistungsverpflichtende Arbeitsunfähigkeit (zumindest einmal) von einem Facharzt testiert werden?
  • Welche Leistungen zahlt der Versicherer im Fall einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit aus?
  • Widmet der Versicherer die aufgrund Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person erbrachten Leistungen bei einem Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit in eine BU-Rente um?

Legt man dieses Prüfraster über die AVB der Gothaer, so darf festgehalten werden, dass der Versicherer seine Hausaufgaben gemacht hat. Die Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person kann mit einer Bescheinigung nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz nachgewiesen werden, das heißt, auch eine stufenweise Wiedereingliederung der versicherten Person nach langer Krankheit unterbricht den Leistungsanspruch nicht. Der Versicherer fordert beim Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nur ein fachärztliches Testat ein und anerkennt für alle anderen Nachweise auch durch den Hausarzt ausgestellte Bescheinigungen.

Aus den AVB der Gothaer ist ersichtlich, dass der Versicherer für den Fall einer Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person eine eigenständige Tarifleistung in Höhe der versicherten BU-Rente definiert. Erkennt der Versicherer eine leistungspflichtige Berufsunfähigkeit der versicherten Person an, so kommt ab dem Ersten des Folgemonats die vertragliche BU-Rente zur Auszahlung. Eine rückwirkende Umwidmung der Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit in Leistungen wegen Berufsunfähigkeit nimmt die Gothaer nicht vor, was die Schnittstelle Krankentagegeld/Berufsunfähigkeitsrente deutlich entschärft.

Darum prüfe, wer sich ewig bindet …

Fair Play: Die besten Versicherungsbedingungen laufen ins Leere, wenn die Annahmepolitik des Versicherers einer Vertragsannahme entgegensteht. Im Rahmen der Tarifprüfung sollten daher auch die Antragsfragen, die Annahmerichtlinien für Freizeitrisiken und die Berufsgruppenzuordnungen geprüft werden.

Mit ihrem Tarifrelaunch hat die Gothaer auch ihre Antragsfragen entrümpelt. Dabei hat der Versicherer den Abfragezeitraum für Vorerkrankungen von fünf auf drei Jahre und für stationäre Behandlungsmaßnahmen von zehn auf fünf Jahre verkürzt. Der auf drei Jahre verkürzte Abfragezeitraum für Vorerkrankungen gilt dabei ausdrücklich auch für psychische Krankheiten, wenn diese ambulant behandelt wurden. Die Fragen nach Medikamentenmissbrauch, Alkoholabusus und Drogenkonsum sowie nach der Anerkennung eines Grades der Behinderung, einer Wehrdienstbeschädigung oder einer Pflegebedürftigkeit berücksichtigen einen Zeitraum von fünf Jahren.

Die Antragsfragen sind transparent und auch für Kunden verständlich formuliert. Krankheiten, Gesundheits- und Funktionsstörungen sind nur im Fall einer Beratung, Untersuchung oder Behandlung durch Ärzte oder andere Heilbehandler anzeigepflichtig.

Nachhaltige Vorsorgeberatung gefordert!

Nach den Annahmerichtlinien der Gothaer kann eine BU-Rente mit bis zu 70 Prozent des monatlichen Bruttogehalts der zu versichernden Person (bis zu einem Jahreseinkommen von 85.000 Euro) abgesichert werden. Bei der Einrichtung einer BU-Versicherung sollte der Vermittler seinen Kunden im
Rahmen der lebensbegleitenden Vorsorgeberatung über die Möglichkeiten einer Anpassung des Versicherungsschutzes ohne erneute Gesundheitsprüfung im Rahmen von anlass(un)abhängigen Nachversicherungsoptionen aufklären.

Dabei sind vor allem die „Berufsstarteroption“ und die „Karrieregarantie“ zu nennen. Mit der „Berufsstarteroption“ kann der Versicherungsnehmer bei erstmaliger Aufnahme einer unbefristeten Berufstätigkeit (das gilt auch bei einem Arbeitsvertrag mit einer Mindestlaufzeit von zwei Jahren) seine versicherte BU-Rente ohne Gesundheitsprüfung verdoppeln (maximale Erhöhung um 18.000 Euro pro Jahr). Die Karrieregarantie sichert unter bestimmten Voraussetzungen eine Angleichung des Versicherungsschutzes an die Einkommenssituation ohne Gesundheitsprüfung bis zu einer maximalen BU-Rente von 72.000 Euro pro Jahr.

Wenn der Versicherungsnehmer seine regelmäßige Arbeitszeit, zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes, reduziert, kann auch der Versicherungsschutz entsprechend abgespeckt werden. Im Fall einer Erhöhung der Arbeitszeit zu einem späteren Zeitpunkt garantiert die Gothaer die Wiederherstellung des vormaligen Versicherungsschutzes ohne eine erneute Gesundheitsprüfung.

Fazit: Mit der umfassenden Modellpflege ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung bietet die Gothaer ein werthaltiges Tarifinstrument für eine qualifizierte Absicherung des Berufsunfähigkeitsrisikos. Herrn Arnoldi würde dabei das Fortschreiben der im Jahr 1914 begründeten BU-Historie auf hohem Niveau sicherlich mit Freude erfüllen.

Bild (2): © AssekuranZoom GbR