Warum Berufsvereinigungen Mitglieder wie Arbeitnehmer gleichbehandeln müssen

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Seit 2006 gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), was insbesondere Arbeitgeber sehr vorsichtig gemacht hat. Etwa indem Stellenanzeigen inzwischen alle drei Geschlechter ausdrücklich mit „m/w/d“ bezeichnen und auch keine Altersvorgaben mehr vorsehen sowie geschlechtersensible – korrekt gegenderte – Sprache verwenden. Doch haben viele Berufsverbände noch nicht erkannt, dass sie gegenüber Mitgliedern und Bewerbern um Mitgliedschaft entsprechende Pflichten haben und diese entsprechende Rechte, entsprechend wie bei Arbeitnehmern.

Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt, Rechtsanwaltskanzlei Dr. Johannes Fiala

Auch Mitglieder von Berufsvereinigungen sind durch das AGG geschützt

Abschnitt 2 des AGG „Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung“ wird durch § 18 AGG auf die Mitgliedschaft in – nicht nur – Berufsvereinigungen ausgedehnt:

„(1) Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten entsprechend für die Mitgliedschaft oder die Mitwirkung in einer […] Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören oder die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich innehat, wenn ein grundlegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht, sowie deren jeweiligen Zusammenschlüssen.

(2) Wenn die Ablehnung einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 darstellt, besteht ein Anspruch auf Mitgliedschaft oder Mitwirkung in den in Absatz 1 genannten Vereinigungen.“

Unter solche Berufsvereinigungen können etwa Mitglieder des DAV – Deutscher Anwaltsverein – und auch selbstständige Berufs-Sportler in entsprechenden Vereinen fallen. Oder auch Hobby-Bergsteiger des DAV – Deutscher Alpenverein – angesichts seiner überragenden Bedeutung.

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, Aktuariat Schramm

Dann also darf entsprechend § 7 AGG kein Mitglied wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Dies beinhaltet Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.

In § 2 AGG ausdrücklich genannt wird zu diesen Gründen das Verbot von Benachteiligungen in Bezug auf „die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen“.

Auch mittelbare Benachteiligungen sind verboten

Unmittelbar benachteiligt wird, wer wegen eines dieser Gründe eine ungünstigere Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

Doch auch durch dem Schein nach neutrale Kriterien für mittelbare Benachteiligungen aus einem dieser Gründe sind unzulässig, etwa wenn ausdrücklich auf eine bestimmte Muttersprache abgestellt wird statt nur auf die tatsächlich erforderlichen ausreichenden Sprachkenntnisse.

Ist die unterschiedliche Behandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, so liegt keine unzulässige Benachteiligung vor. Etwa der Ausschluss von Ruheständlern – mittelbare Altersbenachteiligung – aus Gremien der Berufsvereinigung, um deren Kontakt mit den Berufstätigen sicherzustellen.

Eine Ungleichbehandlung als positive Maßnahme zum Ausgleich bestehender Nachteile ist indes erlaubt – zum Beispiel Frauenförderung, soweit diese sonst benachteiligt wären. Was bei manchen Berufen mit hohem Frauenanteil aber auch nicht gegeben ist.

Die Vereinsautonomie wird unter den Voraussetzungen des AGG beschränkt. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind unwirksam – das kann etwa auch die Vereinssatzung betreffen. Auch eine Mehrheit von Mitgliedern kann sie nicht wirksam beschließen – und ein Vereinsvorstand sich nicht auf solche Mehrheitsbeschlüsse berufen.

Berufsvereinigungen müssen Regelungen wie für Arbeitgeber entsprechend einhalten

Betroffen ist hier entsprechend § 11 AGG neben der Aufnahme als Vereinsmitglied oder einer vorgelagerten Ausbildung die Ausschreibung für die Mitarbeit in Vereins-Organen, Gremien, Ausschüssen, Arbeitsgruppen et cetera.

Bereits eine nicht alle mindestens drei „amtlichen“ Geschlechter umfassende Bezeichnung der Adressaten – etwa nur „Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte“ oder gar nur „Rechtsanwälte“ ohne Klarstellung „m/w/d“, „all gender“ oder mit Genderstern – ist ein Gesetzesverstoß und verboten.

Ebenso nicht gerechtfertigte Altersbegrenzungen, Anforderungen an Berufserfahrung oder Ausschreibungen nur für Berufsanfänger ohne zwingende Gründe.

Die Berufsvereinigung ist entsprechend § 12 AGG verpflichtet, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen, inklusive vorbeugender Maßnahmen. Dazu muss sie etwa im Rahmen einer Aus- und Fortbildung auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen – und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Zur Erfüllung dieser Pflicht kann der Vorstand die Mitglieder in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung schulen.

Verstoßen Mitglieder gegen das Benachteiligungsverbot, so hat der Vorstand die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung oder Vereinsausschluss zu ergreifen.

Das Gegenteil wäre, wenn der Vorstand eines Berufsverbandes einen Chat für auch anonyme genderfeindliche Äußerungen seiner Mitglieder im Internet – eventuell sogar archiviert – zur Verfügung stellt und die dort getätigten Äußerungen dann auch auf Bitte um Stellungnahme ausdrücklich nicht nur unkommentiert lässt, sondern auch noch erklärt, einer Mehrheitstendenz folgen zu wollen.

Die Mitglieder haben das Recht, sich bei der zuständigen Stelle der Berufsvereinigung zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft von dieser – oder anderen Mitgliedern – wegen eines der genannten Gründe benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis dem beschwerdeführenden Mitglied mitzuteilen.

Das AGG sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden zuständige Stelle sind in der Berufsvereinigung bekannt zu machen, etwa durch Einsatz der in der Berufsvereinigung üblichen Informations- und Kommunikationstechnik.

Die Berufsvereinigung darf Mitglieder – und ihre Beschäftigten – nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach AGG oder wegen der Weigerung, eine gegen diese Bestimmungen verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen, auch nicht, wer Benachteiligte hierbei unterstützt oder zum Zeugnis aussagt.

Jeder böse Schein ist zu vermeiden

Wenn im Streitfall Indizien bewiesen werden, die eine Benachteiligung wegen genannter Gründe vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Diese Beweislast kann indes in der Praxis kaum jemals erfüllt werden, und wenn, dann etwa bei Ausschreibungen zur Mitwirkung in Vereins-Gremien und ähnlichen nur mit einem erheblichen Dokumentationsaufwand des gesamten Auswahlprozesses.

Bereits eine verweigerte (erst recht nachweislich falsche) verlangte Auskunft über die Gründe für eine ungünstigere Behandlung kann als Indiz ausreichen (LAG Mainz, Urteil vom 25.03.2011 – Az.: 9 Sa 678/10). Wie bei Stellenausschreibungen durch Arbeitgeber ist es daher auch bei Berufsvereinigungen unbedingt sinnvoll, bereits vorab jedes Indiz für eine mögliche Benachteiligung zu vermeiden.

Kritisch ist bereits, sich für die ausgeschriebene Mitwirkung ausdrücklich nur an etwa „Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte“ zu wenden, da dies nicht das diverse Geschlecht mit umfasst, sondern nur die zwei rein binären Geschlechter Frauen und Männer anspricht.

Bereits auch nur die Frage nach dem Geburtsdatum könnte ein Indiz für beabsichtigte Altersdiskriminierung sein, erst recht, wenn angekündigt ist, dass ohne diese Angabe die Bewerbung um Mitarbeit in der Vereinigung nicht bearbeitet wird. Ebenso wenn bei Datenschutzhinweisen anlässlich solcher Bewerbung die Zustimmung zur Verwendung des Geburtsdatums als unerlässlich bezeichnet wird.

Ein Indiz kann bereits auch das Verlangen eines Fotos oder des vollen Vornamens statt nur Initialen sein, da daraus auf Geschlecht und gegebenenfalls auch Alter und ethnische Herkunft geschlossen werden kann. Eine ganz schlechte Idee ist, bei der Anrede nur die Wahl zwischen „Herr“ und „Frau“ zu lassen oder nur mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ anzureden, statt „Liebe Anwesende“ wenigstens noch hinzuzufügen, wenn schon nicht alleine zu verwenden.

Gendergerechte Urkunden und Berufsbezeichnungen

Viele Berufsvereinigungen vergeben Berufsbezeichnungen oder sogenannte „Titel“ oder beurkunden etwa die Mitgliedschaft, Fort- und Weiterbildungen. Dabei verwendete nicht gendergerechte Bezeichnungen wie das generische Maskulin („Arzt“) oder rein binäre Formen („Ärztin/Arzt“), in denen sich Angehörige nicht binären Geschlechts („divers“) nicht wiederfinden, könnten diese bei der Inanspruchnahme etwa von Fortbildungsleistungen ihrer Berufsvereinigung benachteiligen, weil sie damit nur zwischen zwei „Titeln“ mit falschem Geschlecht entscheiden können.

Berufsvereinigungen sollten etwa in Satzungen oder Fortbildungsregelungen (wie zum Facharzt oder Fachanwalt) nicht nur binäre Bezeichnungen in Aussicht stellen. Es ist daher anzuraten, frühzeitig darauf hinzuweisen, dass sie, egal was die Satzung sagt, auf Wunsch auch nicht binäre Urkunden ausstellen oder solche „Titel“ vergeben, und dies statt mit einem vollen Vornamen auch nur mit dessen Initialen.

Arbeitgeber müssen Beschäftigte auch bei dienstlicher Tätigkeit in Berufsvereinigung schützen

Viele Mitglieder in Berufsvereinigungen – etwa bei ärztlichen und rechtsanwaltlichen Berufen – sind bei anderen Arbeitgebern beschäftigt. Üben sie dann eine Tätigkeit für ihren Arbeitgeber in der Berufsvereinigung aus – etwa durch Fortbildung oder Interessenvertretung –, so sind sie dabei auch durch ihren Arbeitgeber vor Benachteiligung zu schützen.

Erkennbar kann dies daran sein, dass der Arbeitgeber die Tätigkeit in der Berufsvereinigung als Dienstreise behandelt und als Arbeitszeit bezahlt oder dienstliche Vorschriften, etwa zum Corona-Infektionsschutz, darauf erstreckt. Dies kann er indes vermeiden, indem er genau dies alles unterlässt und den rein privaten Charakter der Tätigkeit in der Berufsvereinigung hervorhebt.

„Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.“ So schreibt es § 12 Abs. 4 AGG auch bei Berufsvereinigungen als „Dritte“ vor.

Der Beschäftigte kann sich über eine nach AGG verbotene Benachteiligung durch die Berufsvereinigung dann auch bei der vom Arbeitgeber einzurichtenden Stelle beschweren, die dann prüfen und das Ergebnis mitteilen muss. Arbeitgeber müssen dann begründeten Beschwerden abhelfen, etwa durch Abmahnung der Berufsvereinigung bis zur Einstellung der Zusammenarbeit mit ihr.

Benachteiligungen werden aufwendig und teuer

Das AGG sieht bei Benachteiligungen nach nur Beweis eines Indizes die Umkehr der Beweislast vor – diese dann zu erfüllen, ist fast unmöglich. Dies kann dann wegen Schadenersatz und „Schmerzensgeld“ sehr teuer werden, abgesehen von dem Prestigeverlust.

Aber auch die Besetzung von Gremien und Ausschüssen und damit die Arbeit einer Berufsvereinigung kann behindert werden, wenn diese wegen Benachteiligung nach AGG angefochten wird. Umso wichtiger ist, dass Berufsvereinigungen ihre Pflichten nach AGG genau erkennen und ihnen nachkommen, dabei bereits jedes auch nur Indiz einer Benachteiligung vermeiden, ferner aber auch alle internen Verfahren AGG-konform ausgestalten, darin schulen und ihre Umsetzung zur Beweissicherung genau dokumentieren.

Hilfreich angesichts zahlreicher Fallstricke ist auch, die gesetzlich vorgeschriebene Beschwerdestelle nach AGG ausreichend qualifiziert zu gestalten, um nach Möglichkeit spätere aufwendigere Rechtsstreitigkeiten dazu zu vermeiden.

Bild (2): © Rechtsanwaltskanzlei Dr. Johannes Fiala (3): © Aktuariat Schramm