Energiewende am Limit: Reiches Abrechnung mit 25 Jahren Illusion

Erstmals räumt ein amtierendes Regierungsmitglied offen massive Defizite der Energiewende ein. Mit ihrem Monitoringbericht zieht Wirtschaftsministerin Katherina Reiche eine ernüchternde Bilanz – und stellt klar, dass fundamentale Korrekturen unvermeidlich sind.

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Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und EnergieKatherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und EnergiePresse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mit dem ersten umfassenden Monitoringbericht zur Energiewende hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche eine Zäsur in der deutschen Energiepolitik eingeleitet. Erstmals seit über zwei Jahrzehnten konfrontiert ein amtierendes Regierungsmitglied die Öffentlichkeit mit den strukturellen Defiziten der bisherigen Strategie – und zieht damit faktisch eine ernüchternde Bilanz der Energiewende. Was frühere Minister beschönigten oder gar ignorierten, benennt Reiche nun mit bemerkenswerter Klarheit: Die Energiewende steht nicht nur vor erheblichen Herausforderungen – sie ist in Teilen gescheitert.

Fundamentale Korrekturen statt grüner Heilsversprechen

Der Bericht listet in schonungsloser Deutlichkeit zentrale Fehlentwicklungen auf: hohe Systemkosten, marktverzerrende Subventionen, eine unzureichende Versorgungssicherheit und eine überbordende Regulierung mit über 15.000 Rechtsnormen. Auch die politische Fixierung auf „grünen“ Wasserstoff wird kritisch hinterfragt – zu teuer, zu komplex, in der Praxis kaum verfügbar.

Reiche zieht daraus weitreichende Konsequenzen. Künftig soll nicht mehr die bloße Ausbauzahl von Wind- und Solaranlagen das Maß aller Dinge sein, sondern die Systemkosten und Versorgungssicherheit. Technologieneutralität, marktwirtschaftliche Prinzipien und Digitalisierung rücken ins Zentrum. CCS und CCU – bislang politisch tabuisiert – sollen als Klimaschutztechnologien nun doch eine Rolle spielen dürfen. Es ist ein Paradigmenwechsel, der jedoch spät kommt.

Die späte Einsicht – ein teures Versäumnis

„Deutschlands Deindustrialisierung könnte die Energiewende retten“, heißt es zwischen den Zeilen des Berichts – ein dramatisches Eingeständnis. Denn der Rückgang industrieller Stromnachfrage infolge wachsender Standortprobleme wird in der Analyse zur willkommenen Entlastung des Energiesystems umgedeutet. Es ist der vielleicht bitterste Aspekt dieser Bilanz: Die politische Zielkollision zwischen Klimaschutz und Industrieerhalt wurde zu lange ignoriert.

Reiche wirkt in dieser Situation wie eine Insolvenzverwalterin der alten Energiepolitik – nüchtern, sachlich, bemüht um Schadensbegrenzung. Ihre Einsichten hätten vor zehn oder zwanzig Jahren womöglich eine Kurskorrektur bewirken können. Doch nun, da milliardenschwere Investitionen und irreversible Strukturentscheidungen bereits getroffen sind, droht der Korrekturversuch zu spät zu kommen.

Neuer Kurs mit offenen Fragen

Trotz klarer Worte bleibt vieles vage. Zwar kündigt das Ministerium an, die Subventionspolitik zu straffen, Netz- und Speicherinfrastruktur bedarfsgerechter zu planen und die Digitalisierung zu forcieren. Doch wie diese Maßnahmen konkret umgesetzt werden sollen – insbesondere unter dem Druck kurzfristiger Versorgungssicherheit und hoher Strompreise – bleibt offen.

Zudem steht der politische Konsens auf wackeligen Beinen: Der Atomausstieg wird nicht infrage gestellt, obwohl selbst der Monitoringbericht indirekt auf die dadurch entgangene Option klimaneutraler Grundlastversorgung hinweist. Auch beim Kohleausstieg bleibt die Bundesregierung offiziell auf Kurs – obwohl fossile Energieträger derzeit zentrale Stabilitätsanker des Stromsystems sind.

Späte Ehrlichkeit, fragliche Wirkung

Mit dem Monitoringbericht hat Katherina Reiche ein bemerkenswert offenes Dokument vorgelegt. Es könnte den Auftakt zu einer realistischeren Energiepolitik markieren – wenn die Bundesregierung den Mut hat, den angekündigten Pragmatismus auch gegen ideologische Widerstände durchzusetzen. Doch selbst dann gilt: Der Preis jahrzehntelanger energiepolitischer Illusionen ist hoch – ökonomisch, gesellschaftlich und politisch.


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