Absatzpotenziale heben mit Omnichannel-Strategie

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Viele Versicherer drücken noch immer nicht aufs Gaspedal, wenn es um eine multikanale Customer Journey geht. Damit lassen sie ein immenses Potenzial ungenutzt liegen. Wenn sie mehr in die Rolle des Wegbegleiters der Verbraucher wachsen und die einzelnen Vertriebskanäle on- und offline stärker verzahnen als bislang, können sie auf die Überholspur wechseln.

Wenn es um Omnichannel-Strategien geht, gibt es bei Versicherern noch viel Luft nach oben. Zu dieser Einschätzung kommen Dr. Dirk Schmidt-Gallas, Senior Partner und Leiter der Versicherungs-Practice bei Simon-Kucher & Partners, und seine Kollegin Stefanie zur Horst, als Senior Director spezialisiert auf Vertriebsstrategien für Offline- und Online-Kanäle bei Versicherungen.

Alte Vertriebsweisheiten wie „Versicherungen werden verkauft und nicht gekauft“ seien nicht mehr aktuell. Wenn sich Versicherer stärker mit dem Leben ihrer Verbraucher beschäftigen und darauf lösungsorientiert reagieren, könne man bisher ungenutzte Nachfragepotenziale gezielt heben, sagt Schmidt-Gallas.

Dabei sollten sie vor allem drei Punkte berücksichtigen:

1. Vom Außenstehenden zum vorausschauenden Wegbegleiter des Kunden

Häufig sei die Arbeit eines Versicherungsberaters durch ein Telefonregister bestimmt, das auch noch schlecht geführt und nur selten benutzt wird. Dadurch bekämen Versicherer oftmals gar nicht mit, wenn sich das Leben ihrer Kunden verändere.

Sie wissen oft nicht, ob der Kunde eine neue Art oder Qualität des Risikoschutzes benötigt. Dabei bestehe gerade in diesen Veränderungen eine enorme Chance, Kunden in einem wichtigen Moment ihres Lebensweges passgenaue Produkte anzubieten.

Beispielsweise, um nach der Geburt eines Kindes die Lebenssituation der Familie mit einer Risikolebensversicherung abzusichern. Stefanie zur Horst vertieft, dass die Versicherer nicht nur reagieren, sondern schon vor der Entstehung von konkreten Bedürfnissen aktiver im Hinblick auf die Bedarfsweckung bei ihren Kunden sein sollten:

Etwa, indem sie über die neuen Medien Bedürfnisse zielgruppenspezifisch adressieren und die Erfüllung dieser Bedürfnisse mit ihrer Marke verknüpfen. In den sozialen Medien funktioniert das insbesondere über Testimonials.

Im Vergleich zu E-Commerce-Plattformen, die beispielsweise Kanäle wie Instagram geschickt zur Bedarfsweckung nutzten, hinke die Versicherungswirtschaft hier allerdings noch weit hinterher.

Dafür gilt es, stationären Vertrieb und digitale Sales-Aktivitäten stärker zu verzahnen. Immerhin sei der erste Touchpoint für Interessierte oft digital. Nach einer Versicherung würde zuerst online recherchiert, bevor der Kundenberater angerufen wird.

Versicherer sollten daher die digitalen Touchpoints tentakelartig nutzen – auch mit versicherungsfremden Themen – und über smarte Funnels zu Vermittlern oder dem digitalen Abschluss lenken.

Um diesen Traffic auf die eigene Webseite zu steuern, müssten Versicherer sich dazu noch auf Vergleichs- oder Suchportalen gut positionieren. Dadurch ist jede direkte Interaktion mit einem Interessenten wertvoll, um Wünsche identifizieren und gezielt adressieren zu können.

Off- und Online sind dabei keine Einbahnstraße: Versicherungsvermittler etwa sollten Prozesse und Anreize erhalten, um von Kunden weitere Daten über deren Lebenssituation zu erhalten.

2. Der Kanal sollte zum Zeitpunkt passen

Das Versicherungsgeschäft sei von Natur aus ein Omnichannel-Geschäft, hebt Schmidt-Gallas hervor. Verbraucher wünschen sich heute, auf genau dem Kanal Informationen über Produkte zu erhalten, der für sie am bequemsten sei. Das treffe vor allem auf junge Verbraucher zu. Schmidt-Gallas unterstreicht:

Versicherer beschränken sich zu häufig auf den traditionellen Offline-Vertrieb. Allein: Es sind keine zwei unabhängigen Kanäle mehr, sondern zwei Komplemente, die einander ergänzen.

Die Customer Journey bestehe also standardmäßig aus einer Mischung aus Off- und Online-Kanälen, so Schmidt Gallas. Das können Versicherer zielgerichtet nutzen. Zum Beispiel, indem sie Interessenten zum richtigen Zeitpunkt genau den Kanal anbieten, der auch für die eigene Wertschöpfungskette ideal geeignet ist. Dafür müssen Offline-Vertrieb und Digitalgeschäft als Einheit gedacht werden.

3. Agile Lösungen für eine digitale Gesellschaft

Die Realität sieht nach Ansicht von Experte Schmidt-Gallas hingegen anders aus. Er habe schon oft erlebt, dass Versicherer Online-Kanäle einfach nur lustlos bespielen, um intern einen Haken hinter ihre Digitalisierungsstrategie zu setzen. Das sei der falsche Weg.

Das eigene Online-Team sollte vielmehr die Möglichkeit bekommen, vielversprechende Optionen zu testen, auf den Markt zu bringen und zu skalieren. Relevante Touchpoints sollten identifiziert und Kundenbindungsoptionen untersucht werden, um kostengünstiges organisches Wachstum zu generieren.

Das gelte im Besonderen für den Abschluss und den anschließenden Service. Beides finde nach wie vor überwiegend offline statt. Stefanie zur Horst hebt hervor:

In Zukunft sollten digitale Vertriebskanäle noch viel systematischer genutzt werden, um Neukunden zu gewinnen und Bestandskunden weiterzuentwickeln. Dafür braucht es differenzierte Trigger und sich anschließende Prozesse. Ebenso sollten digitale Verkaufsprozesse flexibel auf Kundenbedürfnisse eingehen können.

Horst verweist auf das aktuelle Beispiel eines Versicherers aus der Kfz-Versicherungssparte. Dieser nutzt eine bekannte Fernsehmoderatorin als Testimonial und postet Making-Offs der Werbedrehs auf YouTube und Instagram.

Der Versicherer könne den so erzeugten indirekten Austausch nutzen, um versicherungsnahe Themen in die Diskussionen einzuspeisen, ein Bedürfnis bei den Zielgruppen zu wecken und sie auf die eigene Homepage weiterzuleiten.

Abschlusswillige Kunden würden dann schnell und unkompliziert zum Onlineabschluss geführt und hochwertige Leads mit weitergehendem Beratungsbedarf nahtlos in den persönlichen Vertrieb geleitet.

Der persönliche Vertrieb sollte dadurch befähigt werden, seine Stärken – die individuelle Beratung und die persönliche Beziehung – noch besser auszuspielen. Das erfordere Mühelosigkeit aus Kundensicht – kein „Bitte rufen Sie einen von 5 Beratern in Ihrer Nähe an“.

Dazu gehöre die gezielte Informationsweiterleitung an den richtigen Berater, um ihn zu befähigen, den Faden genau da aufzunehmen, wo der digitale Prozess für den jeweiligen Kunden normalerweise endet.

Eine smarte Omnichannel-Strategie könne somit die Interaktion der Kunden mit dem Versicherer deutlich erleichtern. So könne die Versicherung nicht nur zusätzliche Absatzpotenziale heben, sondern ihren Kunden auch ein echter Begleiter in wichtigen Lebenssituationen sein.