Hausratpolice: Besteht für Versicherte „spontane Anzeigeobliegenheit“ im Versicherungsfall?

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich mit der rechtlichen Frage zu beschäftigen, ob die Versicherungsnehmerin ohne Auskunftsverlangen des Versicherers eine Offenbarungspflicht, sogenannte „spontane Anzeigeobliegenheit“, im eingetretenen Versicherungsfall treffen könnte (BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10).

Die klagende Versicherungsnehmerin unterhält bei der beklagten Versicherung eine Hausratsversicherung. Wegen eines Brandes im Dachgeschoss des Wohnhauses der Klägerin machte diese Ansprüche aus der Hausratsversicherung bei der Versicherung geltend.

Die Beklagte zahlte daraufhin an die Klägerin vorprozessual einen Vorschuss in Ansehung der Regulierung des Versicherungsfalls.

Im Rahmen eigener Ermittlungen der Versicherung erfuhr die Beklagte, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten und dass über das Vermögen der Klägerin durch Beschluss des Insolvenzgerichts ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden war.

Daraufhin lehnte die Beklagte eine Entschädigungsleistung ab und verlangte den bereits gezahlten Vorschuss zurück. Des Weiteren erklärte die Versicherung die Kündigung des Versicherungsvertrages und verwies auf „unwahre Angaben“ der Klägerin im Versicherungsfall.

Die beklagte Hausratversicherung trug erstinstanzlich vor, sie sei wegen arglistiger Täuschung über entscheidungserhebliche Umstände leistungsfrei geworden, gemäß § 25 VHB 95.

Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten verschwiegen, dass über ihr Vermögen das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und ein Treuhänder vom Insolvenzgericht eingesetzt worden sei, auf dessen Anderkonto die Entschädigungszahlung hätte gezahlt werden müssen.

Das LG Frankfurt hatte die Klage durch Urteil vom 19.02.2009 abgewiesen mit der Begründung, dass die Beklagte leistungsfrei sei, da die Klägerin ihre Auskunftspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalles vorsätzlich verletzt habe. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Klägerin zum OLG Frankfurt. Die zulässige Berufung hatte ebenso keinen Erfolg.

Mit der Revision zum BGH begehrt die Versicherungsnehmerin weiterhin die Zahlung der Versicherungssumme als Leistung aus der Hausratsversicherung.

Die Entscheidung des BGH

Björn Thorben M. Jöhnke, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Der BGH entschied, dass einen Versicherungsnehmer in restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen eine spontane Anzeigeobliegenheit treffen kann.

Eine solche auf Treu und Glauben – § 242 BGB – beruhende Obliegenheit beziehe sich dabei auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich einem Versicherungsnehmer die diesbezügliche Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsse, so der Senat in seiner Entscheidung.

Von daher hatte die Versicherungsnehmerin auf vor dem BGH keinen Erfolg. [§ 242 BGB – Leistung nach Treu und Glauben: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.]

In Rechtsprechung und Lehre sei zwar allgemein anerkannt, dass ein Versicherungsnehmer Erklärungen, die die Leistungspflicht des Versicherers betreffen, zu denen auch Angaben zu den Vermögensverhältnissen des Versicherungsnehmers gehören, an sich ohne Aufforderung hierzu nicht abzugeben braucht. Vielmehr dürfe er abwarten, bis der Versicherer an ihn herantritt und Informationen anfordert (dazu auch: BGH, Urt. v. 16.11.2005 – IV ZR 307/04).

Besteht nun eine unaufgeforderte Anzeigepflicht?

Allerdings sei auch anerkannt, dass in sehr restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen den Versicherungsnehmer eine spontane Anzeigeobliegenheit treffen kann, führt der BGH fort.

Eine solche Offenbarungspflicht ohne Auskunftsverlangen des Versicherers beruhe auf Treu und Glauben (siehe oben) und beziehe sich auf die Mitteilung von außergewöhnlichen und besonders wesentlichen Informationen.

Diese berühren das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsse, auch wenn der Versicherer eine Auskunft nicht verlange, so der Bundesgerichtshof.

Der Senat führte weiter aus, dass in solchen „krassen“ Fällen, in denen es um Informationen gehe, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in sehr entscheidender Weise betreffen und deren Bedeutung für den Versicherungsnehmer offensichtlich ist, das Berufen auf ein fehlendes vorheriges Auskunftsverlangen dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspreche. Der BGH betonte ferner, dass die Rechtsgrundsätze auf ganz spezielle Einzelfallumstände gestützt seien und damit eine weitere abstrakt-generelle Ausführung nicht möglich sei.

Leistungsfreiheit des Versicherers gem. § 28 Abs. 2 VVG

Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) habe rechts- und verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme unaufgeforderter Anzeigepflicht greife und die Verletzung dieser spontanen Anzeigeobliegenheit gemäß § 28 Abs. 2 VVG vorliegend zur Leistungsfreiheit des Versicherers führe, so der BGH.

Dem stehe nicht entgegen, dass es für die Mitteilung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegend an einer versicherungsvertraglich vereinbarten Grundlage fehle, so der BGH weiter. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers gemäß §  31 Abs. 1 VVG sei demnach eine Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG.

Kann die Entscheidung des BGH überzeugen?

Die Entscheidung des BGH überzeugt im Ergebnis wenig, da mit ihr dem Aufklärungsinteresse des Versicherers eine mehr als gerechtfertigte Bedeutung beigemessen wird. Nehme man eine spontane Anzeigeobliegenheit nicht an, so bestünde eine erhebliche Gefährdung von Interessen des Versicherers bereits dann, wenn dieser durch eine unterbliebene Auskunftserteilung der Gefahr ausgesetzt sei, sich gegen eine erneute Leistungsforderung des Versicherungsnehmers wehren zu müssen.

Nach der vorliegenden Auffassung des BGH sei zu beachten, dass die Kenntnis solcher Vermögensverhältnisse wie im Streitfall im Rahmen der Leistungsprüfung für den Versicherer unverzichtbar sei. Diese Ausführungen des BGH überzeugen jedoch nicht.

Denn die Anforderungen an die sog. spontane Anzeigeobliegenheit würden nach Ansicht der Kanzlei damit deutlich überspannt. Versicherungsnehmer können im Zweifel gar nicht wissen, was für „ungeschriebene Pflichten“ über den Pflichtenkatalog der Versicherungsbedingungen hinaus bestehen.

Versicherungsnehmer könnten damit nicht auf die Rechten und Pflichten der Parteien aus dem Versicherungsvertrag vertrauen und müssten im Leistungsfall, beziehungsweise Versicherungsfall immer damit rechnen, keine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag von der Versicherung zu erhalten.

Wann liegt ein „krasser Einzelfall“ vor?

Unter anderem ist ein Augenmerk darauf zu richten, dass unklar bleibt, wann die Grenze zu einer Gefährdung des elementaren Aufklärungsinteresses des Versicherers überschritten wird. Der Senat bezieht sich dabei auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, nämlich sehr restriktiv zu handhabende, „krasse“ Ausnahmefälle.

Der BGH betont lediglich, dass es sich um Fälle handelt, in denen es um Dinge gehe, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in ganz elementarer Weise betreffen und deren Bedeutung für den Versicherungsnehmer auf der Hand liegen. Diese Ausführungen vermögen jedoch nicht zu überzeugen.

Denn die Frage, wann ein „krasser Ausnahmefall“ im Einzelfall vorliegt, müsste der Versicherungsnehmer vor der Meldung des Versicherungsfalls an die jeweilige Versicherung positiv erkennen können und die vorgenannte Abwägung des BGH im Einzelfall selbst machen. Diese Anforderungen dürfte nach Auffassung der Kanzlei zu weit gehen.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung des BGH weist eine sehr hohe Relevanz für die Praxis, respektive Vermittler-Praxis auf. Zum einen stärkt diese Entscheidung die Rechte der Versicherer in Bezug auf die Leistungsfreiheit in besonderen Fällen. Zum anderen zeigt sie, dass es zur Leistungsfreiheit des Versicherers eben nur in „krassen“ Ausnahmefällen kommen kann.

Den Regelfall bildet demnach weiterhin der allgemein anerkannte Umstand, dass den Versicherungsnehmer keine spontane Anzeigeobliegenheit trifft. Es besteht mithin keine eindeutige und einheitliche, höchstrichterliche Regelung für den Fall der sogenannten „spontanen Anzeigeobliegenheit“ im Versicherungsfall. Jeder Einzelfall muss damit auch „im Einzelfall“ geprüft werden.

Damit bleibt festzuhalten, dass es quasi unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.

Auch dabei ist es vorteilhaft sich an Fachanwälte zu wenden, die auf eine langjährige Erfahrung in Versicherungsprozessen mit Versicherungen zurückblicken können. Nur die Erfahrung aus der Praxis führt zu guten und adäquaten Ergebnissen, da die rechtlichen Fallstricke im Bereich des Versicherungsrechts kaum noch überschaubar ist und nur die tägliche Praxis eine entsprechende Kenntnis sichert.

 

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