Krankentagegeldversicherung: Karenzzeiten nach Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit

Krankentagegeldversicherung: Karenzzeiten nach Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit
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In einem Urteil vom 9. Mai 2018 (Az: IV ZR 23/17) hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage des erneuten Ansetzens von Karenzzeiten nach Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung befasst.

Der Versicherungsnehmer ist selbstständiger Psychotherapeut. Er litt seit Ende 2008 an einer depressiven Erkrankung. Nach jahrelanger ambulanter Behandlung attestierte ihm der behandelnde Arzt, dass er von Beginn der depressiven Erkrankung an arbeitsunfähig war. Im Attest wurden einzelne Tage aufgeführt, an denen „Belastungserprobungen“ erfolgt waren. An diesen Tagen, an denen das Grundleiden weiterhin bestand, war der Versicherte als Psychotherapeut tätig.

Björn Thorben M. Jöhnke, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Im Versicherungsvertrag seiner Krankentagegeldversicherung war vereinbart, dass Krankentagegeld nach Ablauf von drei Karenztagen gezahlt werden sollte, sofern die versicherte Person keinerlei Erwerbstätigkeit nachgeht.

Der Versicherer erbrachte für den genannten Zeitraum Krankentagegeldleistungen, jedoch nicht für die Tage der „Belastungserprobungen“. Nach Ansicht des Versicherers fielen jeweils im Anschluss an die „Belastungserprobungen“ erneut Karenztage an, weshalb er für diese Tage ebenfalls nicht leistete. Für diese Tage fordert der Versicherte nun die Zahlung von Krankentagegeld.

Was ist eine Karenzzeit?

In der privaten Krankenversicherung finden sich in den Versicherungsbedingungen der Tarife für Krankentagegeld eine Regelung zur Karenzzeit. Hiernach kann ein Versicherungsnehmer bereits kurz nach Beginn einer Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit Krankentagegeld erhalten oder erst nach längerer Krankheitsdauer. Der Zeitraum bis zum ersten Auszahlungstag wird als Karenzzeit bezeichnet. Welche Karenzzeiten im Einzelfall für das Krankentagegeld anfallen, hängt vom Versicherungsanbieter und seinen Tarifen ab.

Führen die „Belastungserprobungen“ zur Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit?

Streitig war vorliegend zunächst, ob die dargestellten „Belastungserprobungen“ zu einer Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit führten und somit eine Leistung durch den Versicherer nicht zu erfolgen hatte.

In den vorliegenden Bedingungen wird laut BGH an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit angeknüpft. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechliche Spezialkenntnisse kann dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen entnehmen, dass es für die Frage seiner Arbeitsunfähigkeit allein darauf ankommt, ob er zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auch nur teilweise in der Lage ist.

Hier war der Versicherungsnehmer an den Tagen der „Belastungserprobungen“ als Psychotherapeut tätig und somit in der Lage, seine berufliche Tätigkeit auszuüben. Nach Auffassung des BGH handelte es sich daher bei den vorliegenden „Belastungserprobungen“ um eine Ausübung beruflicher Tätigkeit. Diese führten dementsprechend jeweils zu einer Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Erneutes Ansetzen von Karenzzeiten nach Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit abhängig von Tarifbedingungen

Im Mittelpunkt des Streitfalls stand die Frage, ob nach den „Belastungserprobungen“ jeweils erneute Karenztage anfielen. Der BGH stellt klar, dass diese jeweils nicht den erneuten Anfall von Karenzzeiten nach Wiedereintritt von Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen. Es kommt vielmehr auf die vertragliche Regelung zur Karenzzeit an.

Knüpft danach der Lauf der Karenzzeit an den Versicherungsfall an, so ist das Tagegeld bei erneuter Arbeitsunfähigkeit innerhalb desselben Versicherungsfalls ohne erneutes Ansetzen einer Karenzzeit zu zahlen. Bei demselben Versicherungsfall kann die Karenzzeit nur einmal angesetzt werden. Knüpfen dagegen die Bedingungen den Lauf der Karenzzeit an den Eintritt von Arbeitsunfähigkeit, so kann die Karenzzeit innerhalb eines Versicherungsfalles mehrfach zum Tragen kommen.

Im Streitfall ergebe laut BGH die Auslegung der Tarifbedingungen, dass diese für den Beginn der Leistungspflicht auf den Ablauf von drei leistungsfreien Tagen seit Beginn des Versicherungsfalles abstellen. Daher war vorliegend die Karenzzeit ab dem Beginn der depressiven Erkrankungen insgesamt nur einmal in Ansatz zu bringen.

Praxishinweis

Der BGH stellt mithin bei der Frage eines erneuten Ansetzens von Karenzzeiten nach Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit innerhalb desselben Versicherungsfalls auf eine Auslegung der Bedingungen im konkreten Einzelfall ab. Anders als in dem vorliegenden Fall können die Tarifbedingungen auch regeln, dass die Karenztage bei jeder neu eingetretenen Arbeitsunfähigkeit innerhalb des desselben Versicherungsfalls erneut abzuziehen sind. Dies wäre beispielsweise mit einer Formulierung möglich, wonach die Karenzzeit ab dem „Beginn der völligen Arbeitsunfähigkeit“ zu laufen beginnt.

Der BGH hatte zum Beispiel zu dem sogenannten „Hamburger Modell“ (BGH, Urteil vom 11. März 2015 – Az. IV ZR 54/14 ) entschieden, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen könne, dass § 1(1) MB/KT keinen umfassenden Schutz gegen jegliche Einkommensbußen bezwecke. Der Versicherungsanspruch sei rein auf die berufliche Tätigkeit bezogen. Er beziehe sich nicht auf eine volle finanzielle Absicherung. Es bestand in dem vorliegenden Fall kein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld. Sofern jedoch eine andere als die bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit (zeitweilig) ausgeübt wird, kann ein Krankentagegeldanspruch weiter bestehen.

Für die Praxis ist folglich festzustellen, dass es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Krankenversicherers anwaltlich überprüfen zu lassen. Dieses gerade auch hinsichtlich der Auslegung der entsprechenden Versicherungsbedingungen.

Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

 

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