Geringfügiger Verstoß gegen Wettbewerbsverbot rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung

Geringfügiger Verstoß gegen Wettbewerbsverbot rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung
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Der Bundesgerichtshof hatte sich mit Urteil vom 10. November 2010 (Az.: VIII ZR 327/09) mit der Frage zu befassen, ob auch ein geringfügiger Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot eine außerordentliche Kündigung des Handelsvertretervertrages rechtfertigen kann.

Außerordentliche Kündigung nach 37 Jahren

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte der Versicherer den mit einem Versicherungsvertreter bestehenden Handelsvertretervertrag nach 37 Jahren erfolgreicher und prämierter Tätigkeit außerordentlich gekündigt. Der Versicherer hatte sich dabei auf einen Verstoß des Versicherungsvertreters gegen das Wettbewerbsverbot (sogenanntes „Ausschließlichkeitsgebot“) berufen. Der Handelsvertretervertrag sah dabei ausdrücklich ein außerordentlichen Kündigungsrecht des Versicherers bei Verstößen gegen das Wettbewerbsverbot vor.

Der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot wurde seitens des Versicherungsvertreters auch nicht bestritten. Er räumte ein, dass er während der Dauer des Handelsvertretervertrages circa zehn Kfz-Versicherungsverträge an andere Versicherer vermittelt hatte, nachdem der Versicherer diese Versicherungsverträge selbst gegenüber den Versicherten gekündigt hatte. Gleichwohl war er nicht bereit, die außerordentliche Kündigung zu akzeptieren und zog vor Gericht.

Handelsvertretervertrag ist auslegungsfähig

Der Versicherer berief sich im Prozess auf die Kündigungsregelungen des Handelsvertretervertrages. Dieser enthielt Regelungen, wann eine außerordentliche Kündigung des Versicherers möglich sei. Ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot sei dort explizit aufgeführt. Die Parteien hätten damit eine einvernehmliche Vorausbewertungen von Kündigungsgründen im Handelsvertretervertrag vorgenommen, welcher der richterlichen Überprüfung entzogen wären.

Diese Ansicht vermochte die Vorinstanzen ebenso wie der BGH nicht zu teilen. Vielmehr sahen der BGH und auch die Vorinstanzen die Möglichkeit geringfügige Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot im Wege der Auslegung aus dem Anwendungsbereich der Kündigungsregelungen des Handelsvertretervertrages auszuklammern.

Außerordentliche Kündigung nur bei Vertrauensverlust

Der BGH stellte zunächst fest, dass nach § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB der Handelsvertretervertrag von jedem Vertragspartner aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann.

Ein wichtiger Grund für die Kündigung eines Handelsvertretervertrages liegt nach § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB jedoch nur vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Geringfügiger Verstoß gegen Wettbewerbsverbot

Bereits seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 1955 (Az.: II ZR 75/54) gilt der Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbots allgemein als außerordentlicher Kündigungsgrund. Gleichwohl eröffnet der BGH stets die Möglichkeit, die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen.

Trotz der unstreitigen Verstöße gab der BGH daher dem Versicherungsvertreter Recht. Es sah die Wettbewerbsverstöße unter Würdigung aller Umstände als so geringfügig an, dass durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsvertreter bei verständiger Würdigung nicht grundlegend beschädigt würden. Die Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot rechtfertigten daher nicht – zumindest nicht ohne vorherige Abmahnung – die fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages.

Zugunsten des Versicherungsvertreters sprechen dabei zunächst seine mit 37 Jahren lange Vermittlungstätigkeit. Auch war erkennbar, dass der Versicherungsvertreter nicht bestrebt war, den Versicherer zu schädigen oder sich selbst zu bereichern. Der Versicherungsvertreter hatte vielmehr in einer Weise gehandelt, die der wirtschaftlichen Interessenlage des Versicherers jedenfalls nicht zuwidergelaufen sei.

Dies komme eben dadurch zum Ausdruck, dass sich seine Wettbewerbstätigkeit nur auf Kfz-Versicherungen bezogen habe, welche der Versicherer zuvor entweder selbst gekündigt, oder für welche eine solche Kündigung jedenfalls unmittelbar bevorgestanden habe.

Indem der Versicherungsvertreter das konkurrierende Versicherungsunternehmen, an das er die Kfz-Versicherungsverträge vermittelt habe, so ausgewählt habe, dass keine ernstliche Gefahr für eine vollständige Übernahme dieser Versicherungsnehmer bestanden habe, habe er dafür Sorge getragen, dass diese Versicherungsnehmer mit ihren weiteren, wirtschaftlich interessanteren Versicherungsverträgen bei dem Versicherer verblieben seien.

Fazit

Die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung sollte stets im Einzelfall geprüft werden. Zwar sind durchaus vergleichbare Fallgruppen gestaltbar, jedoch zeigt das Urteil des BGH deutlich, dass trotzdem die individuellen Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind.

Dies gilt auch deshalb, da eine außerordentliche Kündigung natürlich weitreichende rechtliche Folgen für den Versicherungsvertreter haben kann. Insbesondere kann die außerordentliche Kündigung auch zum Wegfall des Ausgleichsanspruches führen .

Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

 

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