Wann endet die vorvertragliche Anzeigepflicht?

Wann endet die vorvertragliche Anzeigepflicht?
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Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die vorvertragliche Anzeigepflicht des Antragstellers endet, wird regelmäßig mit dem „Eingang des Antrags beim Versicherer“ oder auch mit der „Policierung des Versicherungsvertrages“ beantwortet. Beide Aussagen sind nicht korrekt. Der Gesetzgeber hat normiert, dass die vorvertragliche Anzeigepflicht des Antragstellers mit der Abgabe der Vertragserklärung endet, das heißt mit der Unterschrift des Antragstellers unter dem Versicherungsantrag. Eine weitere Auskunftspflicht des Antragstellers besteht nur im Fall einer Rückfrage des Versicherers.

Allerdings kann der Vermittler nicht nur das Antrags-, sondern auch das Invitatio-Verfahren für die Vermittlung von Versicherungsverträgen wählen. Bei einer Invitatio ad offerendum wird der Versicherer zur Abgabe eines Angebotes eingeladen. Auch bei der Aufnahme einer Invitatio müssen die Fragen zum Gesundheitszustand, der Berufstätigkeit, sportlichen Vorlieben und gegebenenfalls auch zur Einkommenssituation des Versicherungsnehmers beantwortet werden. Die Frage ist nun, wann der Versicherungsnehmer im Fall einer Vermittlung nach dem Invitatio-Verfahren seine Vertragserklärung abgibt und seine vorvertragliche Anzeigepflicht endet.

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Dieser Sachverhalt wird in der Fachliteratur durchaus kontrovers beantwortet. Während einige Autoren die Auffassung vertreten, dass die vorvertragliche Anzeigepflicht des Antragstellers bereits mit dessen Unterschrift unter dem Angebotsabruf endet, sehen andere Autoren das Ende der vorvertraglichen Anzeigepflicht erst mit der Annahme des Angebotes des Versicherers durch den Versicherungsnehmer.

Diese Fragestellung existiert nicht, wenn der Vermittler entweder das Antragsmodell für seine Vermittlung wählt oder der Versicherer für eine Vermittlung nach dem Invitatio-Modell das Ende der vorvertraglichen Anzeigepflicht mit der Unterschrift des Versicherungsnehmers unter dem Angebotsabruf erklärt.

Anzeigepflicht nach Versicherungsbeginn?

Die meisten Versicherungskunden handeln bei ihrer privaten Vorsorge nach dem Motto „Versicherungsvertrag policiert, abgeheftet und auf Lebzeiten vergessen“. Vor allem bei Abschluss eines Versicherungsvertrages zur Absicherung der Arbeitskraft oder des Todesfallrisikos kann es jedoch sein, dass der Versicherungsnehmer auch nach dem Versicherungsbeginn eine Gefahrerhöhung anzeigen muss.

Der Gesetzgeber hat hierzu im VVG normiert, dass der Versicherungsnehmer nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrerhöhung vornehmen darf. Diese Rechtsnorm findet allerdings auf die Lebens-, Berufs- und Erwerbsunfähigkeits-, Dread-Disease- und Grundfähigkeitenversicherung nur dann Anwendung, wenn der Versicherer die Verpflichtung zur Anzeige einer Gefahrerhöhung in seinen Versicherungsbedingunge benennt.

Beim Abschluss einer Risikolebensversicherung findet sich im Antrag regelmäßig die Frage nach dem Rauchverhalten der zu versichernden Person. Vor allem bei der Risikolebensversicherung fallen die Beiträge für Nichtraucher und Raucher signifikant auseinander und der Leidensdruck nikotinabhängiger Kunden wächst linear mit der Summe der Mehrbeiträge für Raucher.

Thematisiert wird sehr schnell, wie lange man(n) oder auch Frau auf den blauen Dunst verzichten müsste. Sofern der Kunde eine höhere Versicherungssumme abschließt, fordern die Lebensversicherer zumeist ab einer Vertragssumme von 400.000 Euro eine ärztliche Untersuchung und einen „Nichtrauchertest“. Dabei wird eine Urinprobe der zu versichernden Person mit einem Teststreifen auf Cotinin, ein Stoffwechselprodukt von Nikotin, getestet.

Unter Berücksichtigung einer Halbwertszeit von 16 bis 22 Stunden kann der Abbau dieses Stoffwechselprodukts des Nikotins ermittelt und nach einer Woche Nikotinabstinenz ein negatives Testergebnis bei Prüfung auf Cotinin erreicht werden. Wenn der Versicherungsvertrag policiert wurde und die versicherte Person danach wieder zu ihrem Nikotinkonsum zurückkehrt, muss diese Gefahrerhöhung nach den Versicherungsbedingungen der meisten Gesellschaften angezeigt werden. Nur im Ausnahmefall erklärt ein Versicherer den ausdrücklichen Verzicht auf die Anzeige einer Gefahrerhöhung. So führt beispielsweise die Canada Life in ihren Versicherungsbedingungen für die Risikolebensversicherung aus:

„Sie sind nicht dazu verpflichtet, uns eine bei Vertragsabschluss für uns nicht vorhersehbare Erhöhung des Risikos (z. B. durch die Ausübung eines neuen Berufs, die Aufnahme des Rauchens oder einer neuen Freizeitaktivität) nach Versicherungsbeginn mitzuteilen.“

Sanktionen bei Nichtanzeige einer Gefahrerhöhung

Sofern der Versicherungsnehmer eine für ihn erkennbare Gefahrerhöhung dem Versicherer nicht anzeigt, kann der Versicherer das Vertragsverhältnis im Fall einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung fristlos und im Fall der einfachen Fahrlässigkeit mit Monatsfrist kündigen.

Das Kündigungsrecht des Versicherers hat der Gesetzgeber allerdings im Fall der einfachen Fahrlässigkeit auf fünf und im Fall der grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung der Anzeige einer Gefahrerhöhung auf zehn Jahre beschränkt. Der Versicherer ist nicht zur Kündigung verpflichtet und kann mit dem Versicherungsnehmer alternativ auch eine Prämienerhöhung vereinbaren.

Während im laufenden Vertragsverhältnis die Nichtanzeige einer Gefahrerhöhung mit einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer oder der Vereinbarung eines Beitragszuschlages verfolgt werden kann, ergibt sich die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten des Versicherers nach Eintritt des Versicherungsfalls.

Nicht wenige Vermittler vertreten dabei die Meinung, dass eine unterlassene Anzeige einer Gefahrerhöhung – zumindest im Fall der Risikolebensversicherung – von dem Versicherer gar nicht nachgewiesen werden kann, da ein nachträglicher Cotinin-Test bei Eintritt des Versicherungsfalls, das heißt bei Tod der versicherten Person, nicht mehr durchgeführt werden kann.

Im Todesfall des Versicherten muss die bezugsberechtigte Person dem Versicherer folgende Unterlagen vorlegen (§ 7 Abs. 1 und 2 AVB/Risiko-LV):

  • Die Versicherungspolice im Original,
  • eine amtliche Sterbeurkunde mit Angabe von Alter und Geburtsort sowie
  • eine ausführliche ärztliche oder amtliche Bescheinigung über die Todesursache. Aus der Bescheinigung müssen sich Beginn und Verlauf der Krankheit, die zum Tod der versicherten Person geführt hat, ergeben.

Sofern die Todesursache, zum Beispiel auf Kehlkopf- oder Lungenkrebs, multiple Schlaganfälle oder auch eine chronische Lungenerkrankung mit einer signifikanten Reduktion der Lungenfunktionsleistung, zurückzuführen ist, wird der Versicherer regelmäßig weitere Auskünfte bei den behandelnden Ärzten einholen oder auch eine forensische Untersuchung mit einer Haarprobe des Verstorbenen veranlassen.

Wenn sich ein Anfangsverdacht eines regelmäßigen Nikotinkonsums bestätigt, sehen die Versicherungsbedingungen der meisten Gesellschaften eine Kürzung der Versicherungsleistung im Verhältnis Nichtraucher-/Raucher-Beitrag vor. Unter Berücksichtigung einer Versicherungssumme von 300.000 Euro, einer Versicherungsdauer von 20 Jahren und eines Eintrittsalters der versicherten Person von 35 Jahren würde sich nach den Tarifen eines Anbieters ein Faktor von 0,38 errechnen. Sofern der Versicherer einen nicht angezeigten regelmäßigen Nikotinkonsum der nach Nichtrauchertarif versicherten Person nachweisen kann, würde sich die Versicherungsleistung also auf 114.000 Euro reduzieren.

Die vorvertragliche Anzeigepflicht und die Verpflichtung zur Anzeige einer Gefahrerhöhung beziehungsweise die möglichen Sanktionen des Versicherers im Fall eines Verstoßes des Versicherungsnehmers sollten dem Kunden in jedem Fall erläutert werden.

Der Vermittler muss berücksichtigen, dass nicht nur Gesundheits-, sondern auch Fragen zur Einkommenssituation der zu versichernden Person bei Antragstellung sehr detailliert und wahrheitsgemäß zu beantworten sind.

In einem dem Autor bekannten Fall hatte ein Kunde in seinem Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer versicherten Rente von 2.500 Euro pro Monat ein durchschnittliches Nettogehalt von 48.000 Euro angegeben.

Drei Jahre nach Versicherungsbeginn stellte der Versicherungsnehmer einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Aus den vom Versicherer im Rahmen der Leistungsbearbeitung angeforderten Einkommensteuerbescheiden ging jedoch eindeutig hervor, dass der Versicherungsnehmer in den Jahren vor der Antragstellung nur negative Einkünfte als Selbstständiger erwirtschaftet hatte. Die Beiträge waren vom Vater des Versicherungsnehmers bezahlt worden.

AssekuranZoom GbR, Mail: [email protected]

Mehr Infos in der März-Ausgabe des experten Report

 

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