Unfall beim Rechtsüberholen – Überholer nicht immer schuld

Unfall beim Rechtsüberholen – Überholer nicht immer schuld
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„Es ist links zu überholen“, macht § 5 Straßenverkehrsordnung (StVO) gleich am Anfang deutlich. Rechts zu überholen, ist aufgrund von Ausnahmen dennoch nicht vollständig verboten. Deshalb trifft Rechtsüberholer keine automatische Alleinhaftung nach einem Autounfall.

Überholen ist auch unbewusst möglich

Überholen ist das Vorbeifahren an einem in dieselbe Richtung fahrenden oder verkehrsbedingt stehenden Fahrzeug.

Nicht entscheidend für einen Überholvorgang ist, dass

  • sich alle daran beteiligten Fahrzeuge bewegen.
  • der Überholer zum Überholen beschleunigt.
  • eine Überholabsicht vorlag.
  • die Fahrspur zum Überholen gewechselt wurde.

Somit gilt auch das einfache Vorbeifahren an einem Linksabbieger mit gleichbleibender Geschwindigkeit als Überholen. Überholt werden muss in diesem Fall sogar ausdrücklich rechts an diesem vorbei gemäß § 5 Abs. 7 StVO.

Stehenden und stockenden Verkehr vorsichtig überholen

Wichtiger für den Autobahnverkehr ist die folgende Ausnahme: Langsam fahrenden oder stehenden Verkehr auf links befindlichen Fahrbahnen darf man rechts überholen. Allerdings nur über den eigenen Fahrstreifen und nicht dazwischen oder über Sperrflächen. Überholen über den Seitenstreifen ist nur erlaubt, wenn ein Verkehrszeichen die Nutzung als Fahrstreifen erlaubt. Ansonsten gilt die Standspur als für den fließenden Verkehr gesperrt.

7 Abs. 2a StVO verlangt dabei von den Überholenden jedoch äußerste Vorsicht. Zudem dürfen sie nur geringfügig schneller fahren als die überholten Fahrzeuge. Gerichte halten maximal 20 km/h mehr für zulässig. Eine unübersichtliche Verkehrssituation macht eine noch geringere Geschwindigkeit oder den Abbruch des Überholvorgangs erforderlich. Entsprechende Verstöße begründen beziehungsweise erhöhen die Haftungsquote des Überholenden.

Doch ab welcher Geschwindigkeit gilt der Verkehr als langsam? Hier gehen Gerichte von einer Geschwindigkeit von deutlich unter 60 km/h aus. Sie verweisen dazu auf die Gesetzesbegründung.

Überholen bei sich teilenden Fahrbahnen erlaubt

Auf Fahrstreifen, die von der durchgehenden Fahrbahn abgehen, dürfen Abbieger vom Beginn einer breiten Leitlinie an rechts davon schneller fahren als Fahrzeuge auf der durchgehenden Fahrbahn.

Mit 30 cm ist die breite Leitlinie etwa doppelt so breit wie die normale Leitlinie. Diese wichtige Ausnahme vom Rechtsüberholverbot gilt laut § 7a StVO insbesondere auf Autobahnen. Für das Einfädeln und Ausfädeln beinhaltet er jedoch weitere spezielle Ausnahmen.

Vorsicht beim Verlassen und beim Auffahren

Ausfädelungsstreifen beziehungsweise Ausfahrtstreifen sind auch als Verzögerungsstreifen bekannt. Darüber ist nur vorsichtiges Rechtsüberholen mit geringfügig höherer Geschwindigkeit erlaubt, wenn der Verkehr stockt oder steht. Und auch wenn die Ausfahrt schon in Sicht ist, darf der Standstreifen nur dann benutzt werden, wenn ihn das Verkehrszeichen 223.1 zum Fahrstreifen erklärt hat. Sonst gilt: warten!

Umgekehrt ist es auf dem als Beschleunigungsspur bekannten Einfädelungsstreifen beziehungsweise Einfahrstreifen erlaubt, rechts schneller zu fahren und an Fahrzeugen vorbeizufahren, die sich auf dem durchgehenden Fahrstreifen befinden. Diese haben jedoch Vorfahrt vor den Einfahrenden. Setzt sich der Einfädelungsstreifen als eigener rechter Fahrtstreifen fort, müssen Vorfahrtsberechtigte beim Wechsel darauf auf dort befindliche Fahrzeuge achten. Denn Einfahrende dürfen dann zwar nicht mehr überholen, sie dürfen aber zügig weiterfahren und können sich auf gleicher Höhe befinden.

Überholverbot trotz beharrlichen Linksfahrens

Verhindern andere Fahrer durch stetes Fahren auf der Überholspur ein Überholen, verleitet das einige zum Rechtsüberholen. Zwar kann beharrliches Linksfahren eine Nötigung darstellen. Dafür müssen zum längeren Fahren auf der Überholspur erschwerende Umstände hinzukommen. Dazu zählt beispielsweise das Fahren mit mäßiger Geschwindigkeit bei sonst freier Autobahn. Dennoch rechtfertigt das keinen unerlaubten Überholvorgang.

Rechtsüberholende haften nicht immer voll

Nur wer unerlaubt rechts überholt, haftet bei einem Unfall meist allein. In vielen Situationen ist das jedoch nicht eindeutig der Fall. Diese gilt es in einem Prozess besonders überzeugend darzustellen. Das gilt auch für Verkehrssituationen, in denen Fahrer zum Rechtsüberholen gezwungen waren.

Hinzukommend droht infolge unerlaubten Rechtsüberholens ein Bußgeld von 100 Euro. Mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer steigt es auf 120 Euro. Kommt es infolgedessen zu einem Unfall, sind es 145 Euro. Hinzu kommt jeweils 1 Punkt. Bei unbekanntem Fahrzeugführer kann zudem die Anordnung eines Fahrtenbuchs drohen.

Christian Günther, Ass. iur., Redakteur / Content Manager, anwalt.de services AG