Pflegefall – was nun? Die wichtigsten Fakten für Angehörige und Betroffene

© Halfpoint – stock.adobe.com

Rund 4 Millionen Pflegebedürftige leben derzeit in Deutschland, Tendenz steigend. Dirk Görgen, Pflegeexperte der DKV Deutsche Krankenversicherung, fasst die wichtigsten Fragen zusammen, die im Pflegefall auf Angehörige und Betroffene zukommen. Zudem gibt er einen Überblick, was die gesetzliche Pflegepflichtversicherung leistet – und was nicht.

Viele Familien trifft es unvorbereitet, wenn auf einmal Opa, Mutter oder Tante pflegebedürftig werden. Wie sollen sie die Pflege organisieren? Und wo bekommen sie Hilfe?

Eine erste Anlaufstelle sind die lokalen Pflegestützpunkte, Adresse und Kontaktdaten finden sich unter www.pflegestuetzpunkte-deutschlandweit.de. Privatversicherte wenden sich an die compass-Pflegeberater.

Wer eine private Pflegezusatzversicherung beispielsweise bei der DKV besitzt, dem stehen auch die Pflegespezialisten der WDS.care zur Seite. Liegt ein Angehöriger im Krankenhaus, kann der soziale Dienst des Krankenhauses weiterhelfen.

Pflegezeit – für den Akutfall oder länger

Tritt in der Familie plötzlich ein Pflegefall ein, können sich Angestellte normalerweise bis zu zehn Tage zusätzlich frei nehmen, um die Betreuung zu organisieren. Jetzt, während der Corona-Pandemie, sind es sogar 20 Tage. Arbeitgeber müssen diesen Sonderurlaub gewähren, können aber ein Attest verlangen.

Görgen erklärt:

Aktuell benötigen Angehörige wegen der Engpässe bei den Pflegediensten und dem eingeschränkten Unterstützungsangebot länger, um eine gute Lösung für ihre Angehörigen zu finden. Wenn die Pflege in häuslicher Umgebung stattfindet, können Arbeitnehmer eine bis zu sechs Monate dauernde Pflegezeit beantragen.

Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber mindestens 15 Angestellte beschäftigt und der Angehörige einen Pflegegrad hat. In Betrieben ab 25 Beschäftigten ist es im Rahmen der Familienpflegezeit sogar möglich, sich bis zu zwei Jahre teilweise freistellen zu lassen.

Pflegegrad = Voraussetzung für Pflegeleistung

Pflegebedürftigen stehen Pflegeleistungen zu. Welche das sind und wie hoch sie ausfallen, hängt vom Pflegegrad des Betroffenen ab. Angehörige können die Feststellung des Pflegegrads bei der Pflegekasse beantragen, die dann ein Gutachten beauftragt.

Dirk Görgen rät:

Betroffene und deren Angehörige sollten sich auf den Termin mit dem Gutachter gut vorbereiten.

Der Medizinische Dienst der Privaten Krankenversicherungen bietet hierzu unter www.medicproof.de umfangreiche Informationen und Erklärvideos. Es kann beispielsweise hilfreich sein, wenn sich die Antragssteller vorab überlegen, in welchen Bereichen sie sich Hilfe wünschen.

Die Empfehlung des Pflegeexperten lautet:

Bei der Begutachtung sollte ein Angehöriger anwesend sein, der den Pflegebedürftigen gut kennt. Denn: Falls der Betroffene sich vor dem Gutachter schämt und versucht, Schwächen zu überspielen, kann diese Person eingreifen und eine allzu positive Darstellung relativieren.

Beurteilung der Pflegebedürftigkeit

Die Gutachter prüfen sechs Lebensbereiche, die sogenannten Module. Das sind zum Beispiel Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Selbstversorgung und Haushaltsführung.

Görgen erläutert:

Die Module fließen mit unterschiedlicher Gewichtung in die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit ein. Die Selbstversorgung macht dabei mit 40 Prozent den größten Anteil aus.

Hat sich der Gutachter ein Gesamtbild vom Zustand des Pflegebedürftigen gemacht, weist er ihm einen von fünf Pflegegraden zu. Pflegegrad 1 bedeutet dabei geringe Beeinträchtigung, Pflegegrad 5 schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Leistungen der gesetzlichen Pflegepflichtversicherung

Je höher der Pflegegrad, desto umfangreicher die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Welche Beträge wofür und bei welchem Pflegegrad zur Verfügung stehen, erfahren Interessierte zum Beispiel bei ERGO impulse.

Abhängig vom Pflegegrad unterstützt dann die Pflegeversicherung unter anderem mit Entlastungsbeiträgen, beispielsweise für eine Haushaltshilfe oder für Pflegehilfsmittel. Sie fördert zudem den altersgerechten Umbau der Wohnung sowie den Umzug in eine ambulante Wohngruppe für Pflegebedürftige.

Ab Pflegegrad 2 haben Betroffene Anspruch auf zahlreiche weitere Pflegeleistungen, etwa Pflegegeld für die Pflege zu Hause durch Familie beziehungsweise Freunde oder Pflegesachleistungen, wenn der Betroffene einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch nimmt. Auch für die vollstationäre Pflege im Pflegeheim, für Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege stehen monatlich bestimmte Beträge zur Verfügung. Die Höhe der Geldleistungen hängt dabei vom Pflegegrad ab.

Neues Pflegegesetz

In den meisten Fällen deckt die gesetzliche Pflegeversicherung die Pflegekosten nur teilweise ab.

Dirk Görgen weiß jedoch:

Wer den Eigenanteil nicht selbst stemmen kann, bei dem springt zunächst das Sozialamt ein.

Bisher holte es sich das Geld dann von den erwachsenen Kindern zurück. Seit Januar dieses Jahres geht das aber nur noch bei einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro brutto.

Private Pflegezusatzversicherung

Egal, wie viel Einkommen oder Vermögen ein Pflegebedürftiger oder seine Angehörigen haben, ist eine private Pflegezusatzversicherung immer sinnvoll.

Görgen erläutert:

Im Pflegefall hilft sie, finanziell unabhängig zu bleiben und die Finanzierungslücke zu schließen.

Außerdem kann eine Zusatzversicherung helfen, Vermögen und Ersparnisse zu schonen, das Erbe zu erhalten oder den Gang zum Sozialamt zu ersparen.