Die EU-Prospektverordnung wird durch zwölf ESMA-Guidelines ergänzt

Die EU-Prospektverordnung wird durch zwölf ESMA-Guidelines ergänzt
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Die EU-Prospektverordnung (ProspektVO) zum 21. Juli 2019 soll regulatorische Hindernisse für Emittenten auf dem Weg zu einer Europäischen Kapitalmarktunion abbauen, Kosten für Emissionen senken und Wertpapierprospekte und insbesondere Prospektzusammenfassungen einfacher und kompakter gestalten (Hutter/Kaulamo, Nach der Regulierung ist vor der Regulierung, Börsen-Zeitung vom 21. September 2019).

Die Prospektzusammenfassung soll der vorgegebenen Definition entsprechen und emissionsspezifische Angaben nach einem bestimmten Aufbau enthalten. Sie darf nur solche Ausführungen erfassen, die bereits vorher in dem Hauptteil des Prospektes genannt wurden.

Sie soll nur sieben Seiten lang sein. Wenn ein Garantiegeber vorhanden ist, sind auch acht Seiten möglich. Tritt ein zweiter Garantiegeber hinzu, soll es bei acht Seiten bleiben (es werden nicht neun Seiten).

Ein Prospekt soll die Erklärung enthalten, dass er von der BaFin geprüft wurde, und zwar in Hinblick auf Kohärenz, Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit. Diese (formale) Prüfung sei keine Billigung der Produkte.

Gewinnprognosen des Emittenten

Mit den Gewinnprognosen soll es sich so verhalten, dass sie in dem Prospekt aufgenommen werden sollen, wenn entsprechende Prognosen vorher schon einmal veröffentlicht worden sind. Die Gewinnprognose muss nicht mehr vom Wirtschaftsprüfer geprüft werden. Ratings müssen aufgenommen werden, wenn sie vorhanden sind. Ebenso müssen die Schulden angegeben werden.

Besteuerungsrisiken des Anbieters

In Bezug auf die Besteuerungsrisiken soll der allgemeine Hinweis genügen, dass es steuerliche Gesetze gäbe, die den Ertrag schmälern können. Anders soll es sich bei konkreten steuerlichen Risiken verhalten. Für das deutsche Steuerrecht wäre an das Risiko fehlender Gewinnerzielungsabsicht zu denken. Das allgemeine Steuerrisiko wird also auf einen knappen Hinweis gekürzt, es sei denn, es gibt besondere steuerliche Gründe, die zu nennen wären.

Haftung für die Richtigkeit der Prospektangaben

Gemäß Artikel 11 der EU-Prospektverordnung vom 14. Juni 2017 („Prospekthaftung“) sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan für die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt für die Richtigkeit der in einem Prospekt und Nachträgen dazu enthaltenen Angaben haftet.

Die für den Prospekt und Nachträge dazu verantwortlichen Personen seien im Prospekt eindeutig unter Angabe ihres Namens und ihrer Funktion – bei juristischen Personen ihres Namens und ihres Sitzes – zu benennen.

Der Prospekt müsse zudem Erklärungen der betreffenden Personen ausweisen, dass ihres Wissens die Angaben in dem Prospekt richtig seien und darin keine Angaben aufgenommen werden, die die Aussage des Prospekts verändern können(EU-Prospektverordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017).

Die Prospekthaftung und Haftung bei Wertpapier-Informationsblättern (§ 8 Wertpapierprospektgesetz), die Haftung bei fehlerhaftem Börsenzulassungsprospekt (§ 9 Wertpapierprospektgesetz), sonstigem fehlerhaftem Prospekt (§ 10 Wertpapierprospektgesetz) und die Haftung bei fehlerhaftem Wertpapier- Informationsblatt (§ 11 Wertpapierprospektgesetz) et cetera (§§ 8–16 Wertpapierprospektgesetz ab dem 21. Juli 2019) sind nicht unmittelbar aus der EU Prospektverordnung übernommen worden, sondern teilweise eigenständig geregelt (in §§ 8–16 Wertpapierprospektgesetz).

Nach dem Wertpapierprospektgesetz ab dem 21. Juli 2019 in Umsetzung der Prospektverordnung wurden die Regeln zur Prospekthaftung und Haftung bei Wertpapier-Informationsblättern im Wesentlichen unverändert beibehalten.

„Das allgemeine Steuerrisiko wird also auf einen knappen Hinweis gekürzt, es sei denn, es gibt besondere steuerliche Gründe, die zu nennen wären.“

Nachträge zum Prospekt

Prospektnachträge des Emittenten über Änderungen sind im Grunde verpflichtend. Jeder wichtige neue Umstand, jede wesentliche Unrichtigkeit oder jede wesentliche Ungenauigkeit in Bezug auf die in einem Prospekt enthaltenen Angaben, die die Bewertung der Wertpapiere beeinflussen können, sollen unverzüglich in einem Nachtrag zum Prospekt genannt werden müssen.

Der Nachtrag muss innerhalb von fünf Arbeitstagen veröffentlicht werden, Artikel 23, Nachträge zum Prospekt der EU-Prospektverordnung 2017/1129. Die Regelungen zu Prospektnachträgen finden sich in der unmittelbar geltenden EU-Prospektverordnung in Artikel 23 der EU-Prospektverordnung 2017/1129.

Geprüfte Jahresabschlüsse sollen für die Anlageentscheidungen der Anleger eine entscheidende Rolle spielen. Um sicherzustellen, dass die Anleger sich bei ihren Entschlüssen auf die aktuellsten Finanzinformationen stützen, soll unter anderem ein Nachtrag verlangt werden können, der neue Jahresabschlüsse der Emittenten enthält.

Nachtrag in Bezug auf Gewinnprognosen

Da Gewinnprognosen die Anlageentscheidung beeinflussen können, soll ein Nachtrag mitgeteilt werden müssen, der jede Änderung impliziter oder expliziter Zahlen von Gewinnprognosen beziehungsweise die Rücknahme einer bereits im Prospekt enthaltenen Gewinnprognose enthält.

Wenn die Erklärung zum Geschäftskapital nicht mehr zutreffend ist, sollen die Anleger keine Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der finanziellen Lage des Emittenten treffen können. Die Anleger sollen ihre Anlageentscheidungen unter Berücksichtigung der neuen Informationen über die Fähigkeit des Emittenten, sich zur Bedienung seiner Verbindlichkeiten Barmittel und andere liquide Mittel zu verschaffen, einer Neubewertung unterziehen können. Dazu sei ein Nachtrag erforderlich, ebenda, Delegierte Verordnung vom 14. März 2019, Randziffer 19.

In Kapitel V der Delegierten Verordnung zur Prospektverordnung vom 14. März 2019 ist das Spektrum bezeichnet, in dem ein Nachtrag zum Prospekt veröffentlicht werden muss.

Es soll sich hierbei um ein Minimum an Situationen handeln, in denen ein Nachtrag verlangt wird. Betroffen ist zum Beispiel die Veröffentlichung neuer geprüfter Jahresabschlüsse, einer Gewinnprognose oder -schätzung durch den Emittenten, die Rücknahme einer Gewinnprognose oder  -schätzung, die Veränderung der Kontrollverhältnisse bei dem Emittenten und Ähnliches.

Die Nachtragspflicht kann die Steuerungsfunktion aktueller Finanzinformationen konstruktiv begleiten. Sie betrifft grundsätzlich sowohl günstige als auch nachteilige Meldungen. Die Minimalanforderungen an die Publikation eines Nachtrags zum Prospekt sind in der Delegierten Verordnung zur Prospektverordnung vom 14. März 2019 geschildert.

Leitlinien der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA zu Risikofaktoren

Im Zusammenhang mit der EU-Prospektverordnung zum 21. Juli 2019 sind die Leitlinien der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA zu Risikofaktoren gemäß der EU-Prospektverordnung von Bedeutung, so die BaFin-Verlautbarung vom 25. Juni 2019 (Neue Regeln für Wertpapierprospekte). Diese „ESMA Guidelines on risk factors under the Prospectus Regulation“ enthalten die nachstehenden zwölf Guidelines.

Guideline 01

Die Risikodarstellung einer Anlage muss sich hiernach speziell auf den Emittenten bzw. Einstehenden beziehen und darf nicht lediglich allgemeine wertpapier- oder branchentypische Risiken beschreiben; sofern diese fehlen oder nicht klar ersichtlich sind, seien die Angaben im Prospekt zurückzuweisen und vom Emittenten Nachbesserung zu verlangen.

Obwohl Nationalbehörden zur materiellen Risikobewertung nicht verpflichtet sind, so müsse dennoch geprüft werden, ob das Zusammenspiel der verschiedenen emissions- und emittentenerheblichen Risikofaktoren mit hinreichender Spezialität dargestellt ist.

Guideline 02

Es genüge nicht, Risikofaktoren lediglich im Rahmen einer Haftungsausschlussformulierung zu benennen, da dies die Erheblichkeit des Risikofaktors verschleiern könnte; auch die Wiederwendung von Standardformulierungen bei der Erstellung früherer Emissionsprospekte sei nicht zulässig, wenn dadurch keine klare und einzelfallbezogene Risikodarstellung zu erkennen sei.

Guideline 03

Formulierungen, die die Erheblichkeit eines Risikofaktors in Bezug auf die beworbene Anlage diskontieren oder verschleiern, seien abzulehnen; entweder sei dann Nachbesserung zu verlangen, um die Erheblichkeit klarer darzustellen, oder, falls ein solcher Zusammenhang nicht oder nicht darstellbar besteht, sei die Streichung der Formulierung insgesamt zu verlangen.

Guideline 04

Es sei auch auf die Wesentlichkeit potenzieller Risikofaktoren hinzuweisen, wobei die ESMA hier auch die dem Anleger insgesamt zur Verfügung stehenden Informationen wie etwa Finanz- und Jahresberichte, Ad-hoc-Mitteilungen und sonstige Veröffentlichungen des Emittenten in Betracht ziehe und insoweit auch die Gesamtmenge an dem Marktteilnehmer zur Verfügung stehender Information berücksichtigt wissen will, ohne dass es wohl auf die Qualität dieser allgemein zugänglichen Informationen ankäme; die Darstellung potenziell wesentlicher Risikofaktoren müsse aber den Spezialitätsanforderungen der Guideline 01 entsprechen.

Guideline 05

Ein potenziell wesentlicher Risikofaktor dürfe nicht durch Formulierungskombinationen

mit potenziell risikomindernden Faktoren verwässert werden, da der Anleger ansonsten die Möglichkeit des Risikoeintritts mental diskontiere; hier wird insbesondere auf die dominierende Darstellung von Risikomanagementsystemen verwiesen, welche den Eindruck erwecken können, dass ein bestimmtes Risiko weniger gravierend sei, weil es erkannt werden könne.

Guideline 06

Es sei sicherzustellen, dass die Gesamterscheinung des Prospektes nicht einzeln ausgewiesene Risikofaktoren im Gesamtbild widerlegt oder konterkariert; spezielle Risikofaktoren und deren Erheblichkeit auf die Anlage dürften durch den Gesamtcharakter

des Prospektes nicht verschleiert werden; in der Umkehr könnten aber auch an sich unzureichende Risikodarstellungen durch den Gesamtcharakter eines Prospektes geheilt werden.

Guideline 07

Die optische Darstellung der Risikofaktoren solle so gestaltet sein, dass sie Anlegern durchgängig eingängig seien, die optische Gestaltung solle dem Anleger die Erkennung und Bewertung erleichtern; hinsichtlich des Emittenten seien wenigstens

risikorelevante Angaben zu dessen Finanzsituation, operativem Geschäft, möglichen Rechtshaftungen, internen Verfahren und Umwelt- und anderen Haftungsrisiken zu verlangen; hinsichtlichder beworbenen Anlageform seien Angaben zu instrumenttypischen Risiken, Einstandspflichtigen und den Risiken des gewählten Vermarktungsweges zu fordern.

„Die zwölf ESMA-Guidelines aktualisierten Referenzen zur ganzheitlichen Lösung schwieriger Fragen für die Rechtspraxis.“

Guideline 08

Der editoriale Aufbau des Prospekts solle die in Guideline 07 genannten Faktoren als Überschriften ausweisen; sofern von den in Guideline 07 genannten Kriterien in der Darstellung abgewichen werde, sei Nachbesserung zu verlangen.

Guideline 09

Ein Prospekt dürfe in seiner Gesamtheit und Aufmachung nicht von der Wahrnehmung oder Signifikanz der Risikofaktoren ablenken; sofern die Erläuterung der Risikofaktoren mehr als zehn Überschriften enthalte, sei dies anzunehmen, könne jedoch nach vertiefender Prüfung genehmigungsfähig sein. Es sei zunächst zu prüfen, ob eine Zusammenfassung innerhalb der zehn Überschriften ohne Verfälschung der Prospektangaben insgesamt möglich sei.

Guideline 10

Eine weitere Untergliederung innerhalb der zehn Überschriften könne sachgerecht und nach Prüfung im Einzelfall daher zulässig sein.

Guideline 11

Die Risikofaktoren seien exakt und präzise darzustellen und nicht durch inflationäre Darstellung anderer Anlagecharakteristika zu verschleiern; eine solche unzulässige Verfälschung könne sich schon aus dem Volumen der Darstellung ergeben.

Guideline 12

In den Fällen, in denen der Emittent eine Zusammenfassung der Prospektangaben einfügt, müsse diese im Einklang mit den Angaben im Prospekt stehen, wobei die Natur und der Charakter der Anlage nicht abweichend von den Detailangaben unvollständig oder verfälschend zusammengefasst werden dürften.

Fazit

Die EU-Prospektverordnung verbindet fortgeschrittene Ziele auf EU-Ebene, gibt dem Schutz der Privatanleger durch positive Konzepte Raum und reflektiert Wege zur Berichtigung von Irrtümern sowohl in den internen Funktionen der Emittenten als auch in Beziehung zu externen Akteuren. Die zwölf ESMAGuidelines aktualisierten Referenzen zur ganzheitlichen Lösung schwieriger Fragen für die Rechtspraxis.

Autor: Wilhelm Segelken, Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Robert & Kollegen, Bremen

Mehr zum Thema in der November-Ausgabe 19

 

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