Skepsis bei PAYL-Tarifen

© olly / fotolia.com

Die Produktlandschaft der Versicherungsindustrie wird sich in den kommenden Jahren in Deutschland massiv wandeln. Mit neuen Services, Angeboten, Apps und Multi-Kanal-Management wollen sowohl Versicherer als auch Vermittler neue Kunden gewinnen und bestehende Beziehungen vertiefen. Themenangebote wie Produktbündelungen und Cyber-Security-Policen werden in den kommenden fünf Jahren zunehmend im Mittelpunkt stehen.

39 Prozent der befragten Versicherer wollen durch Kombiprodukte wachsen. Themenpakete sollen neben der Versicherungsleistung weitere Dienstleistungen, beispielsweise Bausteine anderer Versicherer sowie passende Produkte branchenfremder Unternehmen beinhalten. Die Assekuranz reagiert damit auf neue Kundenerwartungen: Zwei von drei Entscheidern stimmen der Aussage zu, dass Kunden zukünftig Versicherer bevorzugen werden, die ihnen Komplettlösungen über digitale Ökosysteme und Themenplattformen anbieten können.

Der Versicherer Gothaer arbeitet beispielsweise mit verschiedenen Partnern an einer Smart-Home-Plattform. 40 Prozent der befragten Versicherer planen ähnliche Kooperationen. Die Versicherungskammer Bayern bietet seit Anfang 2019 ein Care-Paket namens Holiday Care an, das auf der eigenen digitalen Plattform Uptodate basiert. Kunden, die eine längere Zeit nicht zuhause sind, können situative Versicherungen und versicherungsnahe Leistungen wie eine Schlüsselverwaltung oder einen Sicherheitsdienst buchen. Im Zusammenspiel mit Assistance-Leistungen wird das Angebot deutlich wachsen. Insgesamt werden lebensbegleitende Services an Relevanz gewinnen, prognostizieren 37 Prozent der Versicherungsentscheider. Gleiches gilt für Produkte, die von der Beratung über den Abschluss bis zum Schadenmanagement komplett digital angeboten werden.

Cyber-Security-Angebote als Wachstumstreiber

Über Themenpakete denken die Versicherer auch bei der Absicherung gegen Cyber-Risiken nach. 41 Prozent der Entscheider gehen davon aus, dass Policen gegen Schäden durch Hackerangriffe in den kommenden fünf Jahren an Relevanz gewinnen werden. Die Anbieter wollen Kunden bei ihren IT-Sicherheitsanforderungen unterstützen und entwickeln dafür spezielle Deckungskonzepte. Für Unternehmen entstehen beispielsweise Zusatzleistungen wie eine IT-Sicherheitsberatung. Die Branche reagiert damit auf eine wachsende Bedrohung durch Cyber-Attacken und die damit verbundene steigende Nachfrage nach Cyber-Sicherheit. Von 2010 bis 2017 sind die Fälle von Cyber-Crime um 44 Prozent gestiegen, so der Bericht des Bundeskriminalamtes. Und die Bedrohungen werden häufiger und auch raffinierter. Vorreiter bei der Produktentwicklung sind hier die Konzerne. Nur 27 Prozent der kleineren Versicherungsunternehmen setzen auf Wachstum durch Cyber-Security-Policen. Das ist auf die generell kleinere Produktauswahl zurückzuführen.

PAYL-Tarife haben es weiterhin schwer

Im Gegensatz zu Produktbündelungen und Cyber-Versicherungen betrachten viele Versicherer die Zukunft verhaltensabhängiger Tarife immer noch mit Skepsis. Lediglich 31 Prozent der befragten Entscheider bewerten diese Tarifwelt als Wachstumsprodukt.

Produkte wie Pay-as-you-live-(PAYL-)Policen gewinnen hierzulande nur langsam an Relevanz. Im Gegensatz zu den USA. Hier gehen erste Versicherer dazu über, nur noch Lebensversicherungen anzubieten, die auf Gesundheitsdaten der Kunden beruhen. Dominic Testrut, Leiter Insurance Consulting bei Sopra Steria Consulting führt dazu aus:

„In Deutschland finden verhaltensbasierte Produkte nur schwer Eingang in Tarifkonzepte. Das liegt einerseits daran, dass der Fokus noch auf bewährten Geschäftsmodellen liegt. Einige sehen darin auch das Kollektivprinzip gefährdet. Die größere Herausforderung liegt jedoch immer noch in der Bereitstellung der erforderlichen digitalen Infrastruktur. Ist diese Hürde einmal genommen, lassen sich dynamische Versicherungsprodukte mit situativen Risikobewertungen abbilden und vermarkten.“

Im Gegensatz zu PAYL-Produkten haben es Pay-as-you-drive-(PAYD-)Modelle einfacher. Telematik wird eingesetzt, um Risiken in der Kfz-Sparte exakter zu kalkulieren. Das ermöglicht individuelle Tarife. Defensives Fahren wird beispielsweise durch Rabatte belohnt. Versicherer wie die Allianz, HUK-Coburg und Cosmos Direkt haben PAYD-Angebote im Portfolio. In Großbritannien sind PAYD-Modelle seit Jahren beliebt, Italien oder Österreich nutzen sie ebenfalls.

Über die Studie:

Die Ergebnisse der Studie Branchenkompass Insurance 2019 wurden in zwei Schritten erhoben. Sopra Steria Consulting und das F.A.Z.-Institut haben Führungskräfte von Versicherern in einem Think Tank zusammengebracht und mit ihnen über die Themen diskutiert, die die Branche bewegen. Kundenzentrierung, Vertrieb und Angebotsmanagement mithilfe Künstlicher Intelligenz sowie Cloud Computing standen im Fokus. Im März und April 2019 wurden darüber hinaus 100 Führungskräfte aus Versicherungen zu den Branchentrends, Herausforderungen und Strategien befragt. Die Online-Befragung wurde mit Führungskräften von Versicherern unterschiedlicher Sparten und Größen durchgeführt.