Die Zukunft ist grün

Die Zukunft ist grün
© olly / fotolia.com (2-3) © Greensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt gemeinnützige Gesellschaft mbH

Obwohl 25 Prozent der deutschen Bevölkerung in Umfragen eine hohe Affinität zu Nachhaltigkeit in ihrem Leben bekunden, werden grüne Vorsorge- und Versicherungslösungen noch immer als Nischenangebot bezeichnet. Insofern ist es an der Zeit, dieser Nische, die wohl keine mehr ist, mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Der experten Report spricht deshalb ausführlich und über viele grüne Aspekte mit Anna Schirpke, Geschäftsführerin der Greensurance Stiftung, und Marcus Reichenberg, Founder der Greensurance Stiftung, über Nachhaltigkeit im Allgemeinen und in der Versicherungslandschaft im Besonderen.

Wie nachhaltig oder auch grün ist die Gesellschaft in Deutschland und die Versicherungsbranche im Besonderen in Ihren Augen bereits heute?

M. Sc. Anna Schirpke, Geschäftsführerin, Greensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt gemeinnützige Gesellschaft mbH

Anna Schirpke: Derzeit ist ein nachhaltiges Leben in Deutschland noch mit einem großen Mehraufwand verbunden. Die gute Nachricht ist, dass es immer mehr nachhaltige Alternativen in allen Lebensbereichen gibt und die jüngeren Generationen viel Wert auf nachhaltige, regionale und faire Produkte legen. Die Umsetzung eines Green Lifestyle ist oft mit einem großen Rechercheaufwand, längeren (Beschaffungs-)Wegen und meist auch mit höheren Preisen verbunden. Ein nachhaltiger Lebensstil muss einfacher, günstiger beziehungsweise gesellschaftlich akzeptiert und gefördert werden. So müssen beispielsweise Bahn-Tickets günstiger sein als die Option des Fliegens.

In Bezug auf die Versicherungsbranche ist Deutschland weder ein Nachzügler noch ein Vorreiter. Die Versicherungsbranche weltweit hat in den letzten Jahrzehnten den Trend zu mehr Nachhaltigkeit verschlafen. Erst in den letzten zwei bis drei Jahren zeigen erste deutsche Versicherungen ein ernstes Interesse daran, Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt zu übernehmen. Derzeit ist der grüne Versicherungsmarkt noch eine Nische; das muss sich ändern!

Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Zukunftsthemen. Welche Vorgaben sind hier vom Gesetzgeber und auch von der EU zu erwarten?

Marcus Reichenberg, Gründer und Geschäftsführer, Greensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt
gemeinnützige Gesellschaft mbH

Marcus Reichenberg: Nachhaltigkeit ist vielseitig und facettenreich. Daher ist es schwierig, diese Frage konkret zu beantworten. Allgemein gesprochen, erachten wir es als sehr wichtig, dass auf Ebene der EU und Deutschlands Gesetze und Förderungen im Sinne von Mensch und Umwelt umgestaltet werden. Diese Umgestaltung wird als Große Transformation einer nachhaltigen Entwicklung bezeichnet.

Die Große Transformation hat längst begonnen, sie reicht aber noch lange nicht aus, eine nachhaltige Gesellschaft zu gestalten.

AS: Die globalen Herausforderungen wie den Schutz der Artenvielfalt, die Mäßigung des Klimawandels und die Verschmutzung unseres Planeten, unter anderem mit Plastikmüll, werden wir nur mit einer gemeinsamen Strategie in den Griff bekommen.

NATURA 2000, die Wasserrahmenrichtlinie und die Biozertifizierung von Lebensmitteln auf EU-Ebene sind positive Beispiele. Bei Versicherungen und Finanzen wird der neue Aktionsplan „Sustainable Finance“ ein Meilenstein werden. Die Regulierung ist leider notwendig, weil die Umsetzung der Nachhaltigkeit auf Basis der Freiwilligkeit in der Vergangenheit nicht funktioniert hat. Die Greensurance Stiftung unterstützt die Bemühungen auf EU-Ebene und hofft auf stringente Regelungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung.

Das politische Deutschland hat auf die gesetzliche Novellierungswelle zur Implementierung von Nachhaltigkeitsvorgaben in die Finanz- und Versicherungsbranche erstmals und zögerlich mit einer Pressemitteilung reagiert. Am 26. Februar 2019 wurde mitgeteilt, dass die Bundesregierung Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort machen möchte. Das Ziel ist zu begrüßen, kommt aber spät. Seit Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Dezember 2015 hätten bereits Fortschritte erkennbar sein müssen. Frankreich ist hier viel weiter.

Eine Reform des französischen Finanzmarktrechts durch das „Energiewende-Gesetz für grünes Wachstum“ wurde 2015 verabschiedet. Durch Transparenzpflichten werden seitdem institutionelle Investoren in ihrer Anlagepolitik verpflichtet, stärker Umwelt-, Sozial- und Governance-Belange (sogenannte „ESG-Aspekte“) zu berücksichtigen. Und ein Nachhaltigkeitslabel „Energie- und ökologischer Wandel für das Klima“, als TEEC-Label benannt, zeichnet grüne Fonds aus. Eine echte nachhaltige Innovation aus Frankreich, die als Vorlage für den Aktionsplan „Sustainable Finance“ dient.

Was bedeutet „nachhaltig“ für Sie persönlich/für die Greensurance Stiftung?

AS: Für mich bedeutet Nachhaltigkeit, dass andere Menschen derzeit wie auch meine Kinder und Enkelkinder zukünftig auf diesem Planeten gut leben können. Für mich heißt das konkret, dass ich darüber nachdenke, was ich esse, wie ich heize, mich fortbewege und welche Kleidung ich trage. Welche Konsequenzen hat eine Handlung, ein Produkt oder eine Dienstleistung? Warum ist ein Produkt spottbillig, ein anderes rational günstig und eins teurer? Das Wichtige ist, dass aus diesen Gedanken auch Handlungen folgen.

MR:

Nachhaltigkeit bedeutet für mich Generationengerechtigkeit und den Erhalt der natürlichen Schönheit und Vielfalt. Für die Greensurance Stiftung bedeutet Nachhaltigkeit, dass sich unsere Wirtschaft nachhaltig entwickelt, auf Zukunftsorientierung im Sinne der Nachhaltigkeit setzt und in ihrer Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt Lenkungsbereitschaft für ihre Stakeholder zeigt.

Die Greensurance Stiftung leistet als gemeinnützige Organisation ein hohes Maß an Informations- und Aufklärungsarbeit. Wie beschreiben Sie Ihren Auftrag und Ihre Ziele?

MR: Zweck der Greensurance Stiftung ist, den Klimaschutz auf globaler Ebene und eine nachhaltige Gesellschaft zu fördern. Dabei fokussieren wir uns auf die Versicherungsbranche. Im Rahmen des vorzuhaltenden Solvenzkapitals fungieren Versicherungsgesellschaften als Kapitalsammelbecken. Durch Invest- und Divestentscheidungen sind Versicherungen, wie kaum eine andere Branche, in der Lage, unsere Gesellschaft zum Positiven wie zum Negativen zu beeinflussen.

Die Greensurance Stiftung setzt darauf, dass sich Versicherungsunternehmen ihrer Verantwortung immer mehr bewusst werden, die mit Kapitalanlageentscheidungen einhergeht. Weiterhin befeuern wir von der Beraterseite aus die Graswurzelbewegung mit der Weiterbildung zum ESGberater, Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen©. Altruistisch vermitteln wir unser Wissen an die Gesellschaft, wie unter anderem mit der KlimaUhr – TIME 2° ACT (www.klimauhr.info).

So bedeutend Nachhaltigkeit ist, so sehr kann die Situation in vielen Bereichen mit dem Kampf zwischen David und Goliath verglichen werden. Immerhin müssen weit vorangeschrittene Strukturen, Prozesse und Gewohnheiten bei der Wurzel gepackt, verändert und langfristig in neue Bahnen gelenkt werden. Welche Themenbereiche wird die Greensurance Stiftung vorantreiben und woher nehmen Sie persönlich Kraft dafür?

MR: Als Kampf würden wir unsere Arbeit nicht bezeichnen, aber als anstrengende und nicht immer fruchtbare Diskussion mit der Branche. Der Transformationsprozess wird mit vielen Vorurteilen belegt und verkrustete Strukturen behindern. Auch die falsche Kostenbetrachtung spielt eine Rolle. Einer der größten Hinderungsgründe aktiver und schneller Umsetzung sind die IT und Vorstände, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Aber wir merken jeden Tag mehr einen positiven Wandel, getrieben vor allem durch die immer lauter werdenden Forderungen aus der Gesellschaft und auch der Politik.

Die Greensurance Stiftung unterstützt die nachhaltige Entwicklung in vier Kernbereichen der Versicherungsbranche: Kapitalanlage, Betrieb, Schaden und Kultur. Letzteres ist uns besonders wichtig, ganz nach dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber.“ Deshalb ist ein Angebot der Greensurance Stiftung die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten nach den Standards des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) oder der Global Reporting Initiative (GRI). Wichtig ist uns, dass Greenwashing im Keim erstickt wird und die nachhaltige Entwicklung den Stellenwert im Unternehmen erhält, den es braucht, die gesetzten SDG-Ziele („SDG“ für „Sustainable Development Goals“) zu erreichen.

Die Kraft und Motivation für unser Tun nehmen wir persönlich daraus, dass wir die Zahlen und Fakten kennen. Wir haben den Peak Everything bereits erreicht und unser Wirtschaftsmodell des exponentiellen Wachstums basierend auf atomaren, fossilen und chemischen Rohstoffen kann keine Option mehr für eine Bevölkerung von bald über 8 Milliarden Menschen sein.

Wir erleben die Erde als ein wunderschönes Ökosystem, welches wir auch für zukünftige Generationen erhalten und wieder verbessern müssen. Der Grund liegt auf der Hand: Es ist unsere Lebensgrundlage! Eine andere Option haben wir nicht.

Werfen wir einen Blick auf Unternehmen, die sich als nachhaltig bezeichnen. Wie ist das einzuordnen? Wie definieren Sie ein „nachhaltiges“ Unternehmen?

AS: Die Nachhaltigkeit ist nach Branchen zu unterscheiden, da die Anforderungen sehr unterschiedlich sind. Wichtig ist, dass der Unternehmenszweck im Kern nachhaltig ist. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Energieerzeuger, der Strom aus fossilen Rohstoffen oder Atomkraft produziert, auch bei effizientesten Verbräuchen und bestem Umgang mit Mensch und Umwelt nicht als nachhaltig zu bezeichnen ist. Weitere negative Beispiele sind beispielsweise die Rüstungsindustrie oder auch die grüne Gentechnik.

Wird aus dem Unternehmenszweck und der Ausrichtung die Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt ersichtlich, ist es ein Indiz für Nachhaltigkeit. Ein echtes nachhaltiges Unternehmen arbeitet daran, Umweltzerstörung und Menschenausbeutung in der gesamten Wertschöpfungskette zu minimieren. Dabei setzen nachhaltige Unternehmen auf einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, denn kein Unternehmen ist von heute auf morgen 100 Prozent grün.

Welche Regeln sind einzuhalten, wenn sich ein Unternehmen für die Einführung und Umsetzung einer nachhaltigen Transformation entschieden hat?

MR: Ein nachhaltiges Unternehmen muss transparent als ehrbarer Kaufmann im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung auftreten. Der kontinuierliche Verbesserungsprozess ist zu dokumentieren und Kritiken von Stakeholdern sind zu hören. Die Verhinderung von Greenwashing ist im Implementierungsprozess zu diskutieren und präventiv vorzubeugen. Es reicht beispielsweise nicht aus, für ein grünes Versicherungsprodukt nur einen Baum pro Vertrag zu pflanzen. Für uns als Greensurance Stiftung muss mehr in einem grünen Versicherungsprodukt stecken – es geht um den ganzheitlichen Prozess, von der Beratung über das Wording bis zur Schadenregulierung.

Greensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt gemeinnützige Gesellschaft mbh, Mail: [email protected]

Die Zukunft ist grün – Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche

Mehr zum Thema in der Ausgabe 06/1019

 

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